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Lichthaus Kaltgestellt

Lichthaus Kaltgestellt

Titel: Lichthaus Kaltgestellt
Autoren: Paul Walz
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und setzte sich auf das Bett, in dem er gestern Abend seit langem wieder einmal mit Sabine geschlafen hatte. Sie hatten die Spannungen, die ihnen vor dem Urlaub zu schaffen gemacht hatten, endlich hinter sich gelassen, und Sabine hatte sogar von Kindern gesprochen. Er lächelte der Erinnerung hinterher und nahm das Gespräch an.
    »Ja, hier Hansen.«
    Für einige Minuten waren das seine letzten Worte. Er hatte Funk schon häufiger wütend erlebt, aber gegen das, was nun auf ihn herabprasselte, war das alles nur ein freundlicher Anpfiff gewesen. Der Chef brüllte nicht einmal, sondern setzte ihn so schneidend kalt in Kenntnis über die Vorkommnisse und sein Versagen, dass ihm übel wurde. Als er endlich fertig war, taumelte er hinaus. Blass wie der Tod. Sabine kam ihm entgegen. Sie trug ihren knappen Bikini, der ihre tadellose Figur mehr als unterstrich. Noch vor zehn Minuten hätte ihn das auf Gedanken gebracht, doch nun ging er glasig blickend an ihr vorbei.
    »Rüdiger, was ist los?«
    »Pack zusammen, wir müssen sofort heim. Funk hat mich gerade angerufen.« Er schaute sie nicht an, ging einfach weiter in Richtung Strand.
    »Funk? Der kann mich mal, ich …«Da war sie wieder, die alte Sabine. Giftig und egoistisch. Er wirbelte herum.
    »Mach, was ich dir sage. Tu nur einmal das, was ich dir sage.« Er brüllte aus vollem Hals. Die Nachbarn starrten herüber, doch Hansen hatte sich bereits abgewendet und schlurfte an den Strand. Es waren kaum Leute hier, nur ein Mann warf seinem Hund einen Stock zum Apportieren in die hohen Wellen. Weiter hinten versuchten zwei Jungen einen Lenkdrachen zu starten.
    Er ging vor bis zu dem Punkt, an dem sich das Wasser schäumend auf das Land ergoss und ließ sich in den Sand fallen. Drei Menschen waren gestorben, weil er den Bericht ungelesen weggeschlossen hatte. Er schaute zwei Surfern zu, ohne sie wahrzunehmen. Dann wieder das endlose Anbranden der Wellen. Immerfort traten sie die Attacke auf das Land an. Chancenlos, doch unverzagt. Warum ging er nicht hinein? Vereinte sich mit ihrer Unendlichkeit? Er wusste es nicht.
    Plötzlich saß seine Frau neben ihm und legte ihren Arm um seine Schultern. Zuflucht. Er lehnte sich an sie und erzählte ihr alles.
    Sprudelte seine Verzweiflung heraus, weinte mit ihr zusammen und überwand die erste Krise. Eine Stunde später spannten sie den Wohnwagen an und fuhren zurück in eine ungewisse Zukunft.
    *
    Alles war Kälte. Neben ihm, über ihm und unter ihm. In ihm. Er fühlte das Wasser des Hades. Wo bloß der Fährmann blieb, der ihn übersetzen würde, hinüber zur Unterwelt? Er trieb weg, hinein in die Dunkelheit.
    Dann ein lautes Knallen und ein heftiger Schmerz auf seiner Wange. Eine Ohrfeige? Und noch einmal.
    »Lichthaus. Heh. Aufwachen.« Die Stimme kam von weit her. Wieder eine Ohrfeige. Er wollte sich wegdrehen, doch es gelang nicht. Er konnte sich nicht rühren. Überall diese Kälte. Sie ließ ihn erstarren.
    »Lichthaus!«, bohrte sich die Stimme in sein Bewusstsein. »Er kommt zu sich.«
    Die Augen auf, befahl er sich. Doch es wurde nur ein Schlitz, durch den ein starkes, aber sehr kurzes Flimmern drang. Er versuchte es noch einmal. Jetzt ging es. Licht fiel ihm wie tausend Nadeln auf die Netzhaut. Endlich sah er das Gesicht. Eine junge Frau mit braunem struppigem Haar und einem netten Lächeln beugte sich über ihn. Ein Stethoskop baumelte von ihrem Hals und durchkreuzte sein Gesichtsfeld.
    »Was ist los?« Er krächzte.
    »Sie waren ohnmächtig.«
    »Aha.« Er hörte die Worte, konnte ihnen aber keinen Sinn geben. Genauso wenig, wie er das einordnen konnte, was seine Augen sahen.
    »Sie sind in Vierherrenborn. Ihre Kollegen haben Sie aus dem Keller geholt.« Langsam kam alles wieder.
    »Mit den Zähnen«, murmelte er.
    »Bitte?«
    Plötzlich erschien Sophie Erdmann im Bild.
    »Hallo Johannes. Gott sei Dank. Wir dachten schon, du seist tot.«
    »Mit den Zähnen.«
    Sie schaute verständnislos. Lichthaus schloss die Augen und zwang die Erinnerung herbei. Die Angst kam zurück und auch die Kälte. Er begann zu zittern und irgendjemand legte ihm eine weitere Decke über. »Ich habe den Stopfen mit den Zähnen herausgezogen. Das Wasser stand mir bis an die Lippe. Ich habe die Knoten soweit gelockert, dass ich mich ein wenig bewegen konnte. Ich habe mich zurückgeschoben, so dass ich mit dem Kopf am Rand vorbei bis zum Boden konnte. Das Wasser ging schnell zurück, und ich konnte wieder atmen. Und dann weiß ich nichts
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