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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest
Autoren: Sunil Mann
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gehört zu haben. Nur wenige Sekunden später sah ich unseren Verfolger hinter einem Bretterstapel auftauchen. Seine Hand umklammerte jetzt eine schwere Eisenstange, die er hinter sich herzog.
    Sofort folgte ich José, dessen blau-weiß kariertes Hemd in der Dunkelheit hell leuchtete, und trieb meine Freunde zur Eile an.
    Auf der anderen Seite des Durchgangs tat sich eine weite Fläche auf, rauer Betonboden, in dem sich Reifenspuren und Schuhprofile eingraviert hatten, holprige, unebene Stellen, die unter den Füßen gut zu spüren waren. Von draußen drang nur wenig Licht herein, es roch nach Zement, nach kaltem Rauch und abgestandenem Bier. Erst allmählich erkannte ich die Mauerstücke am gegenüberliegenden Ende der Fläche, frei stehende Wände, verschachtelt wie ein Labyrinth. Wir befanden uns im zukünftigen Erdgeschoss des Gebäudes.
    »Und jetzt?« José klang verzweifelt. Wir hatten uns tief in den Rohbau hineingewagt und uns hinter zwei abgewinkelt zueinander stehenden Wänden, die ein Spalt trennte, versteckt. Hier herrschte beinahe vollständige Dunkelheit, einzig durch die Lücke drang ein schmaler Streifen Licht.
    »Wir warten«, erwiderte ich angespannt.
    »Hört ihr das auch?« Ich spürte Mirandas Bewegung mehr, als dass ich sie sah. Aufmerksam horchend beugte sie sich vor.
    »Warten? Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich sehe da vehemente Kommunikationsprobleme auf mich zukommen. Die Kampfmaschine und ich, wir beide kommen definitiv nicht aus dem gleichen Kulturkreis. Nicht, dass ich dem Typen exquisite innere Werte absprechen möchte, ich befürchte nur, dass ich kaum Gelegenheit haben werde, diese schätzen zu lernen …«
    »Halt endlich die Klappe!«, unterbrach ich Josés Monolog.
    »Will sagen, dieser Typ verarbeitet uns zu Hackfleisch! Warten ist doch das Dümmste …«
    »Könntet ihr vielleicht eine Minute lang still sein?«, fuhr uns Miranda an. Abrupt verstummten wir und jetzt hörten wir sie auch: die zielstrebig näher kommenden Schritte und das klirrende Kratzen, das die am Boden nachgeschleifte Eisenstange verursachte.
    »Er muss euch gehört haben!«, flüsterte Miranda vorwurfsvoll.
    »Das ist schätzungsweise der Zeitpunkt, an dem nüchterne Leute losrennen würden.« Ich wandte mich auf der Suche nach einem geeigneten Fluchtweg um, doch mein Fuß fand plötzlich keinen Halt mehr. Erschrocken zog ich ihn zurück und bückte mich, um die Stelle zu ertasten, wo der Boden aufhörte. Was nur wenige Zentimeter hinter mir war. Angestrengt starrte ich in die Dunkelheit, doch ich konnte rein gar nichts erkennen außer der Kante, die einen Steinwurf von mir entfernt war.
    »Wir sitzen in der Falle!«, stieß ich hervor. »Hinter uns befindet sich ein Schacht!«
    Erschrockene Stille schlug mir entgegen, in der nur das unheimliche Schürfen und die schweren Schritte zu hören waren.
    » Joder! Ich stell mich dann da drüben hin«, seufzte José schicksalsergeben und verzog sich auf die gegenüberliegende Seite des Durchschlupfs. »Friedhof Sihlfeld bitte, falls meine Familie fragt.«
    »Kremieren oder Erdbestattung?« Miranda gluckste trotz der ernsten Situation. Typisch.
    »Schhhh!«, zischte ich die beiden an und stellte mich mit dem Rücken zur Wand. Der Muskelmann musste somit an uns vorbei, wenn er sich durch den schmalen Spalt zwängen wollte.
    »Weshalb lassen wir ihn nicht in den Schacht laufen?«
    »Weil er dazu erst über uns hinwegtrampeln müsste.«
    Miranda kicherte leise. »Ach so, dann lieber nicht. Das Kleid ist ganz neu.«
    »Ruhe!« Schemenhaft erkannte ich, wie sich José duckte. Die Schritte waren verstummt. Einen Moment lang war nur das gleichmäßige Rauschen des Verkehrs von der Hardbrücke zu hören. Behutsam verlagerte ich mein Gewicht, doch mein Körper blieb in Alarmbereitschaft. Ein Schweißtropfen rann mir zuckelnd über die Schläfe, nur mit Mühe widerstand ich dem Drang, ihn wegzuwischen.
    Dann strich eine Gestalt am Durchgang vorbei, so nah, dass ich sie hätte berühren können. Ich hielt den Atem an. Die Schritte wurden langsamer, dann entfernten sie sich.
    Wir verharrten reglos. Ich hörte Miranda aufatmen und wollte ihr gerade zuflüstern, sie solle bleiben, wo sie sei, als ich einen kühlen Luftzug im Nacken spürte.
    Dann fuhr jäh die Eisenstange durch die Lücke zwischen den beiden Wänden und schlug hart auf dem Boden auf. Miranda entfuhr ein gellender Schrei, und José sprang hoch, mit angewinkelten Armen und geballten Fäusten wie ein Boxer.
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