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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest
Autoren: Sunil Mann
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Weiteres werde ich im Laden deiner Mutter arbeiten, aber sollte sich eine andere Gelegenheit ergeben …« Sie sah mich vielsagend an.
    Ich nickte und spähte in den dampfenden Topf hinein, in dem die gelbe Flüssigkeit blubberte. Ich rührte mit der Holzkelle, die neben dem Kochherd gelegen hatte, ein paarmal kräftig um. Beinahe gleichzeitig spürte ich ihre Hand auf der meinen.
    »Happy Diwali«, flüsterte sie in meinen Nacken, ergriff mein Kinn und zog mich zu sich hin. Der Kuss war lang und innig. Dann lächelte sie und strich mir mit dem Finger über die Wange.
    »Aber bilde dir bloß nicht ein, ich sei nicht mehr sauer auf dich!«, sagte sie, bevor sie hinausging und die Tür hinter sich zuzog.
    Verwirrt sah ich ihr hinterher. Über dreißig Jahre Erfahrung, und ich wurde immer noch regelmäßig überrumpelt. Trotzdem konnte ich mir ein breites Grinsen nicht verkneifen.
     
    Ich steckte mir eine Zigarette an, während ich gemächlich die Langstrasse entlangschlenderte. Ein kühler Oktobertag im Quartier. Polizeiwagen patrouillierten im Schritttempo durch die Seitenstraßen, es roch nach Herbst und billigem Parfüm. Über mir hallte monotones Gehämmer und das Dröhnen der Bohrmaschinen, die unendliche Krawallsymphonie der Baustellen, die auf der Höhe der Brauerstrasse jedoch unvermittelt von quäkenden Trompetenklängen übertönt wurde. Neugierig folgte ich dem Lärm und je näher er rückte, desto deutlicher waren die Parolen zu verstehen, die ein vielstimmiger Chor skandierte.
    Die Protestierenden hatten sich direkt vor dem Wohnblock versammelt. Maria führte sie an und lächelte mir zu, bevor sie die Faust erhob und ihre Forderung nach billigem Wohnraum in der Stadt erneut hinausschrie. Dicht an ihrer Seite standen Rosie und Pilar, dahinter scharte sich ein mageres Grüppchen, Frauen aus dem Milieu, aber auch Quartierbewohner, die selbst betroffen waren oder sich solidarisierten, alle hielten Spruchbänder und Schilder in die Höhe. Presse und Fernsehen schien das nur marginal zu beschäftigen, mit meinem Vorwissen konnte ich mir auch problemlos erklären weshalb: Blanchard hatte wohl wenig Interesse an Misstönen, die seine Pläne von einem aufgewerteten und entsprechend lukrativen Quartier infrage stellten oder gar durchkreuzten. Also wurde in seinem Medienimperium einfach nicht darüber berichtet.
    Voller Mitleid sah ich dem kleinen Umzug hinterher, der sich jetzt mit seiner so engagierten wie zwecklosen Protestaktion Richtung Kasernenwiese davonmachte. Dabei entdeckte ich José und einen weiteren Fotografen, den ich schon vor Grafs Anwesen gesehen hatte, beide rannten eifrig um die Kundgebung herum und schossen von allen Seiten Bilder. Immerhin zwei Reporter, die nicht für Blanchard arbeiteten. Ganz kurz nur hob José den Kopf, als ich seinen Namen rief, und unsere Blicke trafen sich. Ich hob die Hand zum Gruß. Er grinste mich an und machte eine entschuldigende Geste, bevor er weiterknipste. Es war das Grinsen eines Mannes, den ich mein ganzes Leben lang kannte und dabei noch nie so glücklich gesehen hatte wie in den vergangenen Tagen.
    Ich würde mir ein ganz besonderes Hochzeitsgeschenk für ihn überlegen müssen. Mir graute jetzt schon davor.
    Auf der Langstrasse staute sich wie so oft der Verkehr. Hastig und wortlos kaufte ich bei Kemal eine Packung Zigaretten, als ich auf der gegenüberliegenden Straßenseite Miranda entdeckte, die in einem der weniger erfolgreichen Kebablokale stand und eindringlich auf den Mann hinter dem Tresen einredete. Immer vehementer schüttelte dieser den Kopf, während Miranda entsprechend wilder gestikulierte und bedrohlich ihre goldene Handtasche dazu schwenkte.
    Ich wünschte ihr, dass sie möglichst bald passende Räumlichkeiten für ihre Nudelbar fände. Vielleicht sogar in einem der wenigen Häuser im Quartier, an dem noch kein Banner am Baugerüst flatterte, auf dem in Großbuchstaben Joswitha Moor geschrieben stand.
    Ich blieb stehen und sah mich um. Es war schön hier. Wie Claire liebte ich diese Stadt und diesen Stadtteil ganz besonders, in all seiner Widersprüchlichkeit. Hier war ich aufgewachsen, hier gehörte ich hin. Als Schweizer wie auch als Inder. Und war ab und zu ein Spagat gefragt, dann vollführte ich ihn mit Bravour, schließlich hatte ich mein ganzes Leben lang dafür geübt. Veränderungen gehörten nun mal dazu.
    Auch um mich herum war alles in Bewegung: Manju nabelte sich schrittweise vom Familienclan ab und steuerte auf ein
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