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Lichterfest

Lichterfest

Titel: Lichterfest
Autoren: Sunil Mann
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gesorgt, dachte ich erleichtert.
    »Was steht ihr da wie versteinert rum? Lauft!« José rannte voraus, auf die S-Bahn-Station am Ende der Straße zu, doch Miranda eilte zielstrebig in die andere Richtung, direkt dem Muskelrambo entgegen.
    »Bist du jetzt komplett verrückt geworden?«, schrie ich ihr hinterher. Erst da sah ich, dass sie offenbar ihre Handtasche vor der Prügelei auf einem Autodach deponiert hatte.
    »Verdammt, mach schon!«, trieb ich sie an, während Miranda sich die Tasche schnappte und zu mir zurückhastete. Dann ergriffen wir die Flucht. Unser Angreifer war uns dicht auf den Fersen.
    »Das waren Jimmy Choos! «, jammerte Miranda, als wir an ihrem Schuh vorbeistürmten.
    »Manchmal muss man im Leben Prioritäten setzen!«
    Wir vermieden die hell beleuchtete Ausgangsmeile, die bald von den gespenstisch leeren Plätzen vor den Firmengebäuden abgelöst wurde. Wir blieben unter der Brücke, im Halbdunkeln. Hinter uns hallten schwere Schritte, die immer näher kamen. Als ich zurückblickte, erschrak ich. Das Gesicht unseres Verfolgers war verzerrt, vor Wut und Hass. Ich sah eine Entschlossenheit darin, die mich entsetzte. Wir befanden uns definitiv nicht auf einem Sonntagsspaziergang.
    Vor uns machte die Straße eine scharfe Linkskurve unter der Brücke hervor und verschmälerte sich aufgrund der Baustellen zu einem Gässchen, geradeaus lag der Eingang zur Unterführung der S-Bahn-Station, deren hell erleuchtete Gänge uns kaum Schutz boten.
    »Mir nach!« Ich bog hinter dem nächsten Brückenpfeiler rechts ab.
    »Das auch noch!« Schnaufend musterte José das Absperrgitter, das die Baustelle gegen die Straße hin abtrennte. Mit großen Lettern wies ein Schild darauf hin, dass es strengstens untersagt war, den Ort zu betreten. Dahinter erhob sich mitten aus einem Wirrwarr von Gerüsten, Bretterstapeln, Kabelrollen und Schuttmulden der Sockel des Prime Towers, eines Geschäftsgebäudes mit spiegelnder Glasfassade, das fertig gestellt hundertsechsundzwanzig Meter hoch werden sollte und von gewissen Leuten gern als das neue Wahrzeichen der Stadt gesehen worden wäre. Angesichts der höhenmäßig ähnlich ambitionierten Türme, die in absehbarer Zeit ringsherum aus dem Boden schießen würden, mutmaßte ganz Zürich bereits jetzt – natürlich hinter zwinglianisch-diskret vorgehaltener Hand –, welcher der Bauherren am Ende wohl den größten haben würde.
    »Dazu habe ich kaum das Passende an!«, beklagte sich Miranda beim Blick auf das Hindernis.
    »Hast du das je?«, flachste ich, während Miranda unwillig zischte, ihre Handtasche schulterte und beherzt das Gitter hochzuklettern begann. Dabei fielen mir ihre Füße auf, die jetzt nur noch in hautfarbenen Strümpfen steckten. Es waren große, breite Füße. Männerfüße.
    José und ich schwangen uns gerade über die Absperrung, als der Muskelmann auftauchte. Offensichtlich hatte er im Dunkeln kurzfristig unsere Spur verloren, doch jetzt schnellte er wie ein wütendes Tier bis zur Mitte des Gitters hoch, während wir auf der anderen Seite hinuntersprangen und Miranda nachrannten, die wegen des ganzen Proseccos, den sie intus hatte, oder vielleicht auch aufgrund ihres Lebensprinzips, etwas unkoordiniert die kreuz und quer herumliegenden Stahlträger umlief und zwischen den Stützen des Baugerüsts, welches das Fundament des Turms umgab, verschwand. Als ich über die Schulter zurückblickte, sah ich, dass unser Verfolger bereits über den Zaun geklettert war. Mit geschmeidigen Sprüngen setzte er über die Hindernisse hinweg und holte rasch auf.
    Atemlos drängten wir durch den schmalen Korridor zwischen Gerüst und Wand des entstehenden Bauwerks, während der Muskelmann an der anderen Seite der Metallkonstruktion entlangpreschte. Wir mussten höllisch achtgeben, nicht über herumliegendes Werkzeug, Kabel oder Eimer zu stolpern.
    Ein scharfes Zischen aus dem Halbdunkeln ließ uns unverzüglich abbremsen.
    »Hierher!«, flüsterte Miranda. Sie stand in einer düsteren Mauernische, in der sie verschwand, nachdem sie sich versichert hatte, dass wir ihr folgten. Bevor ich mich ebenfalls durch den Spalt zwängte, sah ich mich nach unserem Widersacher um. Er war ein paar Schritte weitergerannt, bevor er bemerkt hatte, dass wir stehen geblieben waren, doch nun konnte ich ihn im Licht der gleißenden Scheinwerfer, die das Gelände taghell erleuchteten, nirgendwo entdecken. Einen Moment lang blieb ich lauschend stehen, da ich glaubte, ein metallisches Geräusch
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