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Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
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geht; ich habe mich nicht an die Freude gewöhnt; es gibt jetzt Augenblicke, in denen ich fast sorglos bin, fast sorglos sein könnte; es ist gut, daß wir wissen, wie es billig schmeckt und daß wir das beide erfahren haben; jedenfalls haben wir jetzt keine falschen Vorstellungen, vorallendingen keine Ansprüche; es wäre unerträglich, wenn einer von beiden Ansprüche hätte; wir sind nicht verwöhnt, nein wir sind nicht verwöhnt; und ich glaube auch nicht, daß uns die Freude verwöhnt machen kann; ich brauche nicht viel, für mich selber fast nichts; ich könnte wieder von Brot und Fischsuppen leben.
    Es ging uns gut und wir wußten, daß es uns gut ging. Wir glaubten immer noch, bescheiden zu sein. Aber wir konnten uns das Restaurant aussuchen (stell dir mal vor, was das heißt, sagte Dole) und wir konnten fast jede Nacht zusammen verbringen, bis gegen Morgen und manchmal bis in den Tag. Wir vergaßen nichts und ließen nichts kaputt gehn. Wir aßen zur Nacht im Bewußtsein, Zeit zu haben, und hörten die Straßengeräusche vor den Fenstern, die Schritte der Liebespaare und das Lachen der Betrunkenen. Schweigend oder sprechend dachten wir die Dunkelheit mit, die Jahreszeit und die Städte, in die wir für ein Wochenende gekommen waren. Die leeren, langsam fahrenden oder im Regen parkenden Taxis, die schäbigen Hotels mit den Weltklasse-Namen (wir kannten einige aus der Zeit des Anfangs, als wir in billigen Zimmern verabredet waren). Die Gartenstraßen, die Parks und die Tennisplätze, Villen und Bungalows unter Ulmen, Sacharinschachteln für die entsprechenden Leute, aber für mich ist das nichts, sagte Dole, ich könnte nie in solchen Kästen leben. Die mit Laub überschütteten Bahndämme im November, Rauch und Windlichtzauber eines frühen Juniabends, die Flohkinos auf der Nordseite, die Humboldtstraße mit den schmierigen Kellerkneipen, wo Katzen Fischreste unter Bänken fraßen; die Flußbrücken in der Nacht und die Uferwege am Kanal, Lametta – Geräusch in U-Bahnschächten, Sommerabende in einem Biergarten und plötzlicher Rock ’n’ Roll, wenn ein Betrunkener aus der Nachtbar fiel und die Schwingtür sekundenlang zur Straße hin offen stand. Und wir dachten die Zeit mit, eine frühe Nacht, uneingeschränkt und kostbar für die Liebe.
    Unser Nachtessen hielt einen Kellner wach, der sich so unaufdringlich wie möglich am Durchgang zur Küche aufhielt. Dole sagte: wir können den Kellner nicht die halbe Nacht hier herumlungern lassen. Wir beschlossen, noch eine Zigarette zu rauchen und dann zu gehn. Aber wir vergaßen den Kellner und brachen erst auf, wenn in einer Ecke das Licht ausging und die Stühle zusammengeschoben wurden.
    Es war Mitternacht, wenn wir aus dem Restaurant kamen. Wir hatten gut und viel gegessen, wir hatten Wein getrunken und hatten gelacht. Andere Leute konnten uns sehn und sagen: ihre Gesichter sind schön. Wir gingen an leeren Garderoben vorbei ins Freie und hörten die Schlüssel hinter uns in der Tür. Mit offenen Mänteln standen wir im leichten Regen. Die Nässe raschelte in den Bäumen, Plantanenblätter bewegten sich um die Laternen. Doles Gang war unentschlossen; sie wartete ab, was weiter geschah. Irgendwelche Leute, die wir anrufen könnten? Irgendeine Party, irgendwo? Gehn wir zu dir oder gehn wir zu mir? Dole blieb stehn und sah mich an, meine Augen und Lippen. Ich blieb stehn und suchte ihr Gesicht, den ruhigen schwarzen Schimmer ihrer Augen, um herauszufinden, an was sie dachte. Das alles war schön. Die Nacht und die Ruhe ermöglichten zu sagen, daß dies alles schön war. In der Dunkelheit war, was wir sagten, deutlich zu hören, und wir ließen uns Zeit zu sprechen und zuzuhören. Es waren die vertrauten Wörter unserer Sprache, aber die Betonungen schienen verändert. In der Nacht besaß jedes Wort einen neuen Klang, der aufmerksam machte und Zärtlichkeit versprach.
    Oder wir waren ausgelassen genug, uns nichts aus irgendwelchen Wörtern zu machen. Wir redeten drauflos und durcheinander; Wörter, Küsse, Regentropfen und Doles Parfüm vermischten sich zwischen unseren Gesichtern. Wir zogen und schoben uns über die Trottoire, rannten über leere Plätze und lachten laut. Bleib stehn, ich kann unsere Schritte hören! rief Dole. Wir blieben stehn und hörten den Rest unseres Lachens zwischen den Hauswänden. Ein paar Straßen weiter überlegten wir, wo der Wagen geparkt war. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, sagte Dole, am Wein kann es nicht liegen, wir
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