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Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
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langsam niederging.
    Wer spricht zuerst? Wie lange schon hat Dole den Freund verschwiegen? Wird sie je imstande sein, mir etwas zu sagen? Werde ich jemals imstand sein, sie danach zu fragen? Wer zerreißt das falsche Glück? Warum machen wir den Mund nicht auf?
    Als wir von der Party bei Mona nach Hause kamen. Es gibt ein Zuhause für sie und für ihn, vielleicht eine Wohnung, die ihm gehört oder etwas Gemeinsames in Paris. Und der Name Mona, gleichgültig wer sie ist, beweist, daß sie gemeinsame Freunde haben, also ein offenes Leben führen; sie sind nicht Gefangene einer Verheimlichung.
    Kurz oder dauerhaft, alt oder neu, zusammenhängend oder zerrissen – ein gemeinsames Leben.
    Zum Nachtessen trafen wir uns am späten Abend. Der Verkehr hatte nachgelassen, die Stadt war leer. Die Restaurantfenster klirrten, wenn Autobusse vorbeifuhren, aber nachts war der Lärm nicht störend. Das Klirren von Fenstern und Weingläsern war ähnlich in einer Nacht. Am Ende des Abends fanden wir in fast jedem Restaurant einen guten Platz. Um diese Zeit war nicht zu befürchten, daß ein Kellner fremde Leute zu uns an den Tisch setzte. Dole liebte Fensterplätze mit Panorama-Blick, offenen Strand oder breite Straßen vor Augen, auch wenn in der Dunkelheit nur ein paar Bogenlampen zu erkennen waren.
    In der Nacht geht alles leichter, sagte Dole, das Atmen, Sprechen und Zuhören, das Vorausdenken in die Zukunft und das Erinnern, die Zärtlichkeit kommt wieder, die Hände sind ruhig. Der Betrieb in den Restaurants war wieder normal. Wir nahmen unsere Mäntel mit an den Tisch und legten sie über freie Stühle, nachts hatten die Kellner nichts dagegen. Wir stellten die Blumen auf einen anderen Tisch, um Platz für Zeitungen und Bücher zu haben. Nachts wurde das Auge nicht gereizt, das Gehör wurde weniger beansprucht, der Tag war anonym, die Nacht war privat, sie gehörte dem einzelnen und ließ ihn in Ruhe. Wir waren jetzt aufmerksamer als während des Tages, geduldiger, weniger verletzlich. In der Nacht dachte keiner nur an sich selbst. Nicht sprechen zu wollen oder nichts sagen zu können brachte niemanden in Verlegenheit. Das Schweigen strengte nicht an und die Gesprächspausen machten uns nicht nervös. Wir sprachen oder wir sprachen nicht. Es ist schön, miteinander am Tisch zu sitzen, sagte Dole, einfach dazusitzen und Wein zu trinken; du siehst mir in das Gesicht und lachst, wenn wir lachen können ist alles gut, ich vergesse, was heute los war und kann mich entspannen, ich bekomme wieder ein leichtes Gefühl für mich selbst. Unsere Gespräche waren nichts Besonderes. Wir sprachen über alles und über nichts. Wir hatten Zeit und waren uns einig. Das Wort Gesprächsthema existierte nicht.
    Während wir aßen und tranken, erinnerten wir uns an frühere Nachtessen. Weißt du noch – das öde kalte Speisehaus in Zacatecas, und wir waren den ganzen Tag durch den Regen gefahren. Der eisige Steinboden unter den kalten Füßen. Die Holzdecke voller Fliegenfänger und die abgebrochenen Garderobenhaken in der Veranda mit den blauen Fenstern. Wir hängten unsere Mäntel an einen Spiegel, später stellten wir fest, daß die Knöpfe fehlten. Irgendein Spaßvogel muß die Knöpfe abgeschnitten haben, während wir unter Fliegenfängern saßen. Aber wer schneidet Knöpfe ab und läßt das Geld in den Taschen? Rätselhaft. Und die Gaststuben in den Weindörfern, die Tonkrüge auf den Regalen, die schweren grünen Kachelöfen und die Saunahitze auf den Ofenbänken. Der Schnaps in dicken Gläsern, das Brot auf dem Tisch, Nüsse und Wein in einer Oktobernacht. Und die Bahnhofsrestaurants, wenn ein Abschied bevorstand, wie viele Bahnhöfe in wie vielen Städten. Alte traurige Bahnhofskellner, warum sind die Bahnhofskellner so alt und traurig, und sie sind doch fast die einzigen Leute gewesen, die auch mal freundlich waren, wenn es uns schlecht ging. Und die billigen Imbißstuben am Jerichoplatz und die griechischen, türkischen, spanischen Kneipen mit den Musikboxen, endlose Honigmusiken Kannitverstahn, die wir schon deshalb gerne hörten, weil wir die Texte nicht zu verstehen brauchten. Die rauchige Knoblauchhöhle unter Arkarden, als wir kein Geld hatten und unsere Abendessen Fischsuppenfeste an klebrigen Tischen waren. Jahrelang Pommes frites und ein paar welke Salatblätter, Jahre ohne Speisekarte und ohne Wein. Das sind keine schlechten Zeiten gewesen, sagte Dole, aber jetzt geht es uns besser, ich bin immer noch froh, daß es uns besser
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