Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
Vom Netzwerk:
möglich, daß sie aus dem Bett eines Mannes anruft und daß dieses Bett ganz woanders steht.
    Liebe, Hoffnung, Vertrauen – das waren Wörter, mit denen wir spielten, sofern wir sie überhaupt für uns in Anspruch nahmen. Es waren keine notwendigen Wörter für uns. Wir waren uns einig ohne Wörter, und was die Liebe war, das wußten wir selber. Aber ich habe den Wert der Wörter erfahren, seit die gemeinsame Sache in Gefahr ist. Vertrauen, was war das? Ich war überzeugt, daß Dole das Richtige tat. Unmöglich, sie ins Unrecht zu setzen durch eine Frage. Ihre Aufträge, Reiseziele und Adressen waren nicht anfechtbar. Vertrauen bedeutete unbegrenzten Vorschuß auf alles, was Dole betraf, und es hieß, daß ich glaubte, was sie mir sagte und Nichtgesagtes für unbezweifelbar hielt. Unbedenklichkeit, ein geflügelter Zustand. Doles Lieblingswort facilité. Ich hielt den grundsätzlichen Betrug nicht für möglich.
    Wo war sie am häufigsten?
    Nach allem, was ich weiß und vermute, war sie am häufigsten in Paris. Jedenfalls reiste sie oft allein dorthin, häufig im Wagen, um beweglich zu sein. Paris ist ihre Stadt und sie hat dort gelebt, ich selber bin selten in Paris gewesen, habe vor allem nie dort gelebt, zusammen mit Dole war ich nur einmal dort. Unsere Novembertage im Hotel Mirabeau, billiges blaues Zimmer unter dem Dach, Paris in Winternässe und Grisaille, Regennächte zu Fuß, umarmt und ziellos. Rue de la Harpe, rue des Ecoles, rue de Vaugirard. Nebelverfinsterung, Licht des Limbo, triefende dunkle Mittage, die wir im Bett verbrachten, schöne atemlose Verlorenheit, zwei Körper allein in einem bezahlten Zimmer, Manuskripte und Zeitungen auf dem Bett und eine gemeinsame alte Schreibmaschine. Erinnerst du dich, daß ich meinen Paß verlor, sagte Dole, irgendwo auf dem Boulevard oder in den Bars, und daß er am nächsten Morgen im Hotel auftauchte, dorthin gebracht wurde von einer alten Frau in arabischen Kleidern, wie ist sowas möglich, wir hatten die Frau vorher nie gesehn, wie konnte denn irgendwer wissen, wo wir wohnten – rätselhaft. Das war der sorglose Anfang des Zukunftkalenders, Tage und Nächte in einem Atemzug (Stadt der Liebenden, graue Rose – obwohl mir die Chansons auf die Nerven gingen, selbst als ich sie später in Duisburg hörte). Ich gehe jetzt davon aus, daß Paris der fragliche Ort ist, vorallendingen wegen Bercy-les-Landes.
    Denkst Du noch an das Haus in Bercy-les-Landes, und an die vielen Schuhe im Flur? Die Fahrräder im Anbau, der Autofriedhof neben dem Schloß, die Sommernachtsfrösche im Wasserbassin und die vielen, nach Staub und Jod riechenden Brennesseln dort? Ich habe mich vergewissert: Bercy-les-Landes ist ein Dorf in der Ile-de-France, eine halbe Zugstunde von der Gare de Lyon entfernt. Es wäre möglich, Näheres zu erfahren. Beim Nachtessen heute erzählte ich von den Orten, in denen wir von Paris aus waren: Malmaison, Saint Luce, Villededon, Le Faure – sind wir nicht auch in Bercy-les-Landes gewesen? Sie schüttelte den Kopf, und ich hatte den Eindruck, daß sie mir etwas sagen wollte. Sie schien kurz davor, etwas mitzuteilen, drehte das Weinglas zwischen den Fingern und blickte auf das Tischtuch. Ich ermutigte sie nicht. Allerdings ist es möglich, daß ich mich täuschte. Das Beobachten hat mich ratlos gemacht. Jetzt, ein paar Stunden später, bin ich überzeugt, daß sie nicht daran dachte, mir etwas zu sagen; daß sie unter keinen Umständen etwas sagen wollte.
    Sie hat den Tag im Liegestuhl verbracht, die Zeitung fortgelegt und die Bäume betrachtet, den besonnten Fluß, die Wolken, die Vogelschwärme. Sie hat vor sich hin gestarrt, die Zeitung wieder aufgenommen, wenig gegessen, wenig getrunken, sich kaum bewegt.
    (Sie glaubt, den Brief vernichtet zu haben. Vielleicht ein Beweis für das Ende der Beziehung?)
    (Ich will nichts geschenkt bekommen und ich will nichts auslassen
    Sie hat nichts ausgelassen.
    Sie hat ihre Möglichkeit wahrgenommen und vielleicht in die Unmöglichkeit fortgesetzt. Sie liebt, das ist alles. Es ist zuviel. Es ist nicht genug. Ich denke immer wieder an ihren Brief. Es steckt so viel aussichtsloses Verlangen darin, Verlorenheit zwischen den Zeilen, Beschwörung der Freude. Ich kenne Dole und ich kenne sie nicht. Das steht mir noch bevor: sie kennenzulernen.)
    Wir gingen im Regen am Fluß entlang und sprachen von gemeinsamen Erinnerungen. Weil ich in letzter Zeit oft von Vergangenem spreche, häufig auch Dole danach frage, erzählt sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher