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Licht

Licht

Titel: Licht
Autoren: Christoph Meckel
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vorbeigehn, ihr zögernder Gang, der jetzt etwas Horchendes hatte (ich weiß, daß ich ein Ohrenfüßler bin, sagt Dole) und der auf den Boden gerichtete Blick, wenn sie allein oder in Gedanken ist. So hat sie die vielen Kleinigkeiten gefunden, Weltplunderkram für meine sämtlichen Taschen, sagt sie, Groschen, Vogelfedern, Schlüssel, Schneckenhäuser und Spielzeuge. Sie blickte nicht in das Fenster und rief nicht mehr. Wieder das Unbehagen: Indiskretion.
    Der Brief lag noch auf dem Tisch, er mußte weg. Ich hätte jetzt ganz gern einen Safe gehabt, für diese Notierungen und den Brief. Ich legte ihn zusammengefaltet in Lowrys Erzählungen und versteckte das Buch in meinem Koffer, obwohl kein Mensch nach ihm suchen würde, am wenigsten Dole – sie war überzeugt, den Brief verbrannt zu haben (der Brief bleibt in meinem Koffer versteckt, obwohl ich nichts mit ihm vorhabe; ich werde ihn nicht gegen Dole verwenden; unmöglich, etwas gegen sie zu verwenden; ich behalte den Brief als Dokument dieses Unfalls).
    Meine Türe war abgeschlossen. (Ich hatte die Türe tatsächlich abgeschlossen).
    Später sah ich Dole von der Terrasse ins Zimmer kommen, das weiße Kleid aus dem Gegenlicht auf mich zu. Sie erkannte mich nicht sofort, stand dann vor mir und lachte, ganz unbefangen. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Ich hatte mir überhaupt nichts vorgestellt. Und am wenigsten hätte ich mir vorstellen können, daß der erste unaufrichtige Augenblick so beiläufig vorübergehn würde, ohne Irritation, zu flüchtig für eine Empfindung.
    Gil, du bist hier? Ich habe nach dir gesucht.
    Ich war eine Weile in meinem Zimmer.
    Möchtest du Kaffee?
    Ja, Kaffee wäre schön.
    Unser Leben nach der Entdeckung des Briefs begann mit Kaffee und Sherry und einem Gespräch über die Fotomontagen von Man Ray.
    Ich beobachte sie. Am Anfang erschien mir das ganz unmöglich. Ich beobachte die Frau, die ich liebe. Aber nach ein paar Tagen geht das gewissenlos; das Unbehagen ist verschwunden, kein Gefühl von Indiskretion. Früher, also noch vor vier Tagen, sah ich Dole, wie sie vor mir erschien.
    Ich betrachtete ihre wechselnde Erscheinung und hielt sie für eindeutig (wie konnte ich mich hinreißen lassen, der Erscheinung eines Menschen zu glauben). Es gab keinen Unterschied zwischen dem, was ich sah und den Vorstellungen, die ich mir machte. Was Dole preisgab, war vielleicht nicht viel (was sie vor mir verbarg, war vielleicht viel mehr), aber es war genug für ein Leben zu zweit. Das Verborgene änderte nichts an meiner Bejahung. Ich verließ mich darauf, daß sie hier und nicht anderswo war, wir verließen uns aufeinander und lebten leicht. Vertrauen, der gemeinsame Löwenanteil. Fort, fort in den Morgen und über die Berge! Das ist ein Satz, der sich nicht mehr behaupten läßt. Verdacht, Verdacht, ich vernichte das Wort Vertrauen. Ich ersetze Löwenanteil durch Verlustgeschäft.
    Das Wahrnehmen ohne Verdacht, das bejahende Anschaun einer Frau erscheint mir heute als vollkommenes Glück. Und nachdem ich es verloren habe, jetzt, dieses unerbittliche Hinsehn, kalt, scharf, skrupellos und genau – ist das überhaupt zumutbar für uns beide. Es entspricht mir nicht, obwohl ich es lerne, und vor ein paar Tagen hätte ich geschworen, daß es auch Dole unbekannt sei.
    Unabwendbarer, unablässiger Blick. Unruhe, Zweifel und instinktive Beschuldigung. Dole kann jetzt sagen was sie will – nichts mehr ist glaubhaft. Kein Wort ist gut, kein Lächeln vollkommen, kein Blick überzeugt mich. Sie ist nicht mehr so schön, wie sie gestern war, sie ist nicht mehr der unantastbare Mensch. Am Nachmittag tranken wir Tee auf der Terrasse, nichts schien sich verändert zu haben, sie lag mir im Liegestuhl gegenüber und ließ sich betrachten, lässige Wollust, gemeinsame Ruhe. Ihr Lächeln setzte mein Vertrauen voraus, aber mein Vertrauen war nicht mehr da. Sie hat den Bösen Blick noch nicht bemerkt, wird ihn möglicherweise nicht bemerken, jedenfalls nicht sofort, nicht heute, nicht mehr in dieser Nacht. Es gelingt mir, meinen Verdacht zu verbergen, so daß sie die neue Aufmerksamkeit reizvoll findet. Möglich, daß sie den Blick für Verlangen hält. Ich weiß nicht, wie lange der Zustand dauern kann.
    Ich beobachte sie.
    Als wir den Herbst in Limoges verbrachten, in der Wohnung von Freunden, und ihren Affen versorgten.
    Das Tier lebte angekettet auf einem mit Möbeln vollgestellten Balkon. Dole hatte ihn eine Woche lang gefüttert, als er kratzend und
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