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Licht über den Klippen

Licht über den Klippen

Titel: Licht über den Klippen
Autoren: Susanna Kearsley
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hübschesten von Trelowarth.
Wir folgten dem Küstenpfad durch den Wilden Wald, als wollten wir zu Claire,
gingen jedoch an ihrem Cottage vorbei, überquerten die Lichtung und tauchten
wieder in den Wald ein. Schließlich kamen wir in der Nähe der Klippen heraus,
so nahe am Meer, dass wir die sich an den schwarzen Felsen und auf dem
Kiesstrand brechenden Wellen hören konnten. Hier verließen wir den Pfad,
kehrten der See den Rücken und näherten uns einer großen abschüssigen Weide, wo
Kühe träge vor sich hin kauten, ohne uns zu beachten, als wir über den
Zaunübertritt kletterten.
    Mark half mir hinüber und ging mir dann wieder voran, mit gesenktem
Kopf, in Gedanken versunken. Ich wusste, warum.
    In jenem letzten Sommer war er oft mit Katrina zu diesem besonderen
Ort heraufgekommen, um den Erwachsenen und uns Kindern zu entfliehen. Ich war
damals zu jung gewesen, um die Vertraute meiner Schwester zu sein, und merkte
nur, dass sie von den Ausflügen mit Mark strahlend und leichtfüßig
zurückkehrte.
    Das war es, woran Mark jetzt dachte.
    Ich hing meinen eigenen Erinnerungen nach. Meine
geschichtsbegeisterte Mutter hatte die romantische Szenerie des
Leuchtfeuerhügels geliebt, jenes Überbleibsels einer Epoche, in der es entlang
der britischen Küste überall Signalfeuer gegeben hatte, die entzündet wurden,
wenn Gefahr drohte. Sie dienten einem doppelten Zweck: Einerseits sollten sie
gegen anrückende Feinde mobilisieren, andererseits London informieren. In der
elisabethanischen Zeit war dieses Leuchtfeuer das erste gewesen, das das
Herannahen der Armada gemeldet hatte.
    Damals hatte diese Stelle mit Sicherheit einen imposanten Anblick
geboten – ein mehr als mannshoher Steintisch, ganz ähnlich den neolithischen cromlechs , die noch jetzt auf den
Hügeln dieser Gegend existierten, mit einem stets bereitliegenden Stapel
Brennholz darauf. Die Schilderungen meiner Mutter hatten ein so lebhaftes und anschauliches
Bild vor meinem geistigen Auge erstehen lassen, dass ich jedes Mal, wenn wir
hier picknickten, unwillkürlich den Horizont nach einem spanischen Segel oder
einem Leuchtfeuer in der Ferne abgesucht hatte.
    Dieser Impuls überkam mich wieder, als wir die ebene Fläche mit den
alten, verwitterten, in einem groben Kreis angeordneten Felsbrocken erreichten.
Abgesehen von dem flachen, an einer Seite angeschlagenen Stein in der Mitte
ließ das Arrangement allerdings kaum noch vermuten, welchem Zweck es früher
gedient hatte.
    Von hier aus bot sich ein weiter Blick auf die gesamte Küstenlinie,
an der die Wellen sich weiß an den schwarzen Klippen und den dunklen Kiesstränden
brachen.
    Ich schob das Kästchen mit Katrinas Asche auf den Steintisch und sah
Mark an, der wiederum mich anschaute, in seinen Rucksack griff und drei kleine
Pappbecher sowie eine dunkelgrüne Flasche herausholte. »Wir sollten es mit Stil
machen«, erklärte er.
    »Und wie geht das?«
    »Mit Scrumpy. Katrina und ich haben immer eine Flasche mit
heraufgebracht.«
    »Scrumpy?«
    »Starker Apfelwein.« Er füllte einen Becher und stellte ihn auf das
Holzkästchen, bevor er das Getränk in die anderen beiden Becher goss, einen mir
reichte und den dritten hob, als wollte er einen Toast ausbringen. »Auf …«,
begann er und hielt inne. »Ach, egal«, sagte er und leerte den Becher.
    Ich tat es ihm gleich. Mark schüttete den Inhalt des dritten Bechers
über das Kästchen, trat beiseite und nickte mir zu. »Jetzt bist du dran.«
    Mit zitternden Fingern öffnete ich den Verschluss der Box. »Ich
wollte etwas vorlesen.«
    Mark sah mich fragend an.
    »Aus Der Prophet «,
erklärte ich. »Von Khalil Gibran. Da gibt es eine Passage über den Tod, die
Katrina mochte. Sie hat sie bei der Trauerfeier für unsere Eltern vorgetragen.«
    Ich holte einen Zettel aus meiner Tasche und entfaltete ihn, gegen
den Wind ankämpfend.
    »›Denn was bedeutet sterben‹«, las ich, »›schon anderes, als nackt
im Wind zu stehen und in die Sonne zu schmelzen? Und was bedeutet es, nicht
mehr zu atmen, wenn …‹« Mir brach die Stimme. Mark nahm mir sanft den Zettel
aus der Hand und las mit seiner ruhigen Stimme weiter. Ich richtete den Blick
aufs glitzernde Meer, als Mark die letzten Zeilen zitierte: »›Und wenn ihr den
Gipfel des Berges erreicht habt, wird euer Aufstieg beginnen. Und wenn euer
Körper der Erde anheimfällt, dann werdet ihr wahrhaftig tanzen.‹«
    Dies schien der richtige Augenblick zu sein, die Asche zu
verstreuen.
    Mark sagte mit leiser
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