Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
Vom Netzwerk:
Richtung die ersten Amerikaner anreisten, wie sie im neuen Land zurechtkamen und was schließlich aus ihnen wurde. Kolumbus jedenfalls hat Amerika nicht entdeckt, es war jemand anderes. Vermutlich hatte er einen Speer in der Hand.
    Amerika sah vor 10 000 Jahren ein wenig anders aus als heute. Gerade hatte man nach 20 000 Jahren des großen Frierens die letzte Eiszeit überstanden, deren Gletscher in ihrer maximalen Ausdehnung ungefähr die gesamte Landmasse von Kanada bedeckten – und Kanada ist ein großes Land. Die drastischen Klimaveränderungen am Ende der Eiszeit markieren auch das Ende einer geologischen Periode, die heute Pleistozän heißt, und den Beginn einer neuen, wesentlich besser klimatisierten Zeit, Holozän genannt. Beherrscht wurde Amerika im Pleistozän von einer eklektischen Sammlung von Riesentieren. Man stelle sich große Tiere von heute vor, betrachte sie durch ein starkes Vergrößerungsglas, und man hat etwa eine Ahnung von der eiszeitlichen Megafauna. So werden aus dem spielzeugartigen Elefanten die urzeitlichen Mastodons und Mammuts. Riesenelche gab es, Riesenschildkröten, Riesenbiber, Riesenlöwen, Säbelzahntiger, und als wäre das alles nicht genug, liefen Kurznasenbären frei herum, die moderne Grizzlybären um mehrere Bärenköpfe überragen. Man erzählt von einem Russen, dem man im Museum von Utah den Oberschenkelknochen eines solchen Megabären zeigte und der daraufhin verzweifelt fragte: «Warum müssen die Vereinigten Staaten von allem auf diesem Planeten das Größte haben?»
    Wann also betraten die ersten Menschen diesen Abenteuerpark namens Amerika? Bis vor wenigen Jahren gab es darauf eine weitgehend akzeptierte Antwort, die ungefähr wie folgt lautete: Die ersten Amerikaner, Clovis-Menschen genannt, stießen vor rund 12 000 Jahren von Sibirien aus in Richtung Osten vor. Wegen der Gletscher lag der Meeresspiegel deutlich tiefer als heute, sodass Russland und Alaska durch eine Landbrücke verbunden waren. Trockenen Fußes also gelangten die Clovis-Menschen nach Amerika. Durch eine glückliche Fügung ging die Eiszeit gerade zu Ende. Die Gletschermassen zogen sich zurück und gaben dabei einen Korridor frei, durch den die Neuankömmlinge quer durch Kanada nach Süden vordrangen. In ihrer Freizeit beschäftigten sie sich damit, Großwild wie Mammuts, Bisons, Kamele und Pferde zu erlegen, wobei sie auf charakteristische Weise hergestellte Speere verwendeten, deren steinerne Spitzen zum Markenzeichen der ersten Amerikaner wurden. Clovis heißt die Stadt in New Mexico, wo Archäologen in den 1930er Jahren die ersten dieser Speerspitzen entdeckten. Bald stellte sich heraus, dass Hunderte Speerspitzen derselben Bauart über ganz Nordamerika verstreut herumliegen.
    Die Clovis-Spitzen und die dazugehörigen Jäger breiteten sich offenbar rasend schnell über den Kontinent aus, «schnell» jedenfalls für eine Zeit, in der es an so grundlegenden Dingen wie Straßen und Bahnlinien mangelte. In weniger als tausend Jahren, so die Theorie, eroberten die Clovis-Leute den gesamten Kontinent und wanderten von Alaska bis zur Südspitze nach Feuerland. Jede Generation muss dazu etwa 500 Kilometer weiter in Richtung Süden vorgedrungen sein und sich gleichzeitig vorschriftsmäßig fortgepflanzt haben. Nahrung gab es zwar reichlich in diesem neuartigen Kontinent, leider war sie nur allzu oft mit großen Zähnen ausgestattet. Zeitgleich mit dem Eroberungsfeldzug der Clovis-Jäger kam es in Amerika zu einem seltsamen Massensterben, bei dem alle oben beschriebenen Riesentiere verschwanden. In der traditionellen Clovis-Theorie hängt beides, das Auftauchen der Menschen und das Verschwinden der Tiere, eng zusammen: In einer Art Blitzkrieg zogen die Clovis-Leute durchs Land und rotteten auf ihrem Weg die gesamte amerikanische Megafauna aus, sodass am Ende nur noch kleine, niedliche Tiere übrigblieben.
    Diese Geschichte klingt zwar spektakulär, ist aber höchstwahrscheinlich falsch. Der entscheidende Fund, der letztlich zu ihrer Widerlegung führte, stammt aus dem Süden Chiles, genaugenommen von einer Stelle namens Monte Verde, wo der Amerikaner Tom Dillehay und sein Team seit den 1970er Jahren Ausgrabungen vornehmen. Was sie zutage förderten, war revolutionär: Feuerstellen, Reste einer Art Ansiedlung, uraltes Mastodonfleisch und von Menschenhand gefertigte Werkzeuge, die nicht nur anders aussahen als alles, was man von Clovis kannte, sondern zudem auch 12 500 Jahre alt waren. Sogar einen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher