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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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Blessuren an Schädel und Rippen und trug eine Speerspitze in seiner Hüfte mit sich herum. Die Nachbildung seines Gesichts, die in den Zeitungen erschien, sieht für den Laien verdächtig europäisch aus; in Wirklichkeit hatte er wohl eher Ähnlichkeit mit den Ureinwohnern Japans. Auf keinen Fall jedoch sieht er so aus wie die modernen Indianer, die sich gern als «First Americans» bezeichnen. Woher er auch stammt, er lag auf (oder vielmehr unter) dem Land, das vormals die Umatilla-Indianer besiedelten, und zwar, wie deren Volksglauben sagt, «seit Anbeginn der Zeit» und nicht erst seit ein paar Jahrtausenden, wie die Wissenschaft behauptet. Nun räumt ein amerikanisches Gesetz den Indianern das Recht ein, Überreste ihrer Vorfahren zu bestatten, und zwar ohne die Knochen vorher nach allen Regeln der Kunst untersuchen zu lassen. Wenn der Kennewick-Mann auf Umatilla-Boden lebte, dann war er, so sagen die Indianer, ein Umatilla. Archäologen erwidern, es sei stark zweifelhaft, ob das urzeitliche Skelett irgendetwas mit den modernen Indianern zu tun hat, und sähen es lieber im Labor als begraben. Seit mehr als zehn Jahren liegt Mr. Kennewick mehr oder weniger tatenlos herum und wartet auf ein Ende der Gerichtsverhandlungen. Letztlich geht es hier nicht nur um ein paar alte Knochen oder um akademische Streitereien, sondern um die Frage, wem Amerika gehört.
    Wer aber waren sie nun, die Ureinwohner Amerikas, und wo kamen sie her? Seit die Zweifel am Clovis-Paradigma unübersehbar sind, werden vielfältige Varianten diskutiert. Die beste Lösung wäre natürlich eine Abstammung von Außerirdischen, aber darüber äußern sich ernsthafte Archäologen nur selten. Eine populäre Theorie behauptet, die Besiedlung Amerikas sei ein ausgedehnter Bootstrip entlang der Pazifikküste gewesen – oder, wie Adovasio es nennt, «der Yachtclub des späten Pleistozäns». Möglicherweise sind Urjapaner während der Eiszeit nichtsahnend in Richtung Amerika aufgebrochen – mit Paddel- oder Segelbooten nach Norden bis zur Bering-Landbrücke und anschließend der amerikanischen Küste folgend bis weit in den Süden. Hilfreich dabei: Der Kontinent war nie komplett mit Eis bedeckt, denn an der Küste blieb jeweils ein schmaler Streifen eisfrei, über den vermutlich auch Braunbären nach Süden vordrangen. Zudem war fast die gesamte Küstenlinie mit Urwäldern aus Seetang ausgestattet, was zum einen Meerestiere anlockte, die man als Wegzehrung verwenden konnte, zum anderen aber auch das Meer beruhigte und so die Seefahrt vereinfachte. Ein weiterer Vorteil der Bootstheorie: Man muss nicht mühsam durch Wüsten und Urwälder wandern und dabei ständig neue Riesentiere totschlagen. Am Ende hat die Besiedlung Amerikas vielleicht sogar Vergnügen bereitet. Leider ist die Yachtclubtheorie schwer zu beweisen, weil alle infrage kommenden Siedlungsorte an der Küste heute wegen des gestiegenen Wasserspiegels überschwemmt sind. Zudem liegen einige alte Fundstellen auf der anderen Seite Nordamerikas, und um dort hinzukommen, hätte man doch wieder harte Gewaltmärsche absolvieren müssen.
    Eine weitere Idee, die seit einigen Jahren durch die Archäologie-Journale geistert, klingt wesentlich spektakulärer als ein geruhsamer Segeltrip entlang der amerikanischen Westküste. Offenbar ähneln die Clovis-Speerspitzen denen, die von den europäischen «Solutreanern» hergestellt wurden – zumindest behaupten das Wissenschaftler wie Dennis Stanford vom Smithsonian Institute. Die Solutreaner lebten vor etwa 20 000 Jahren an den Küsten Südeuropas und, so die Theorie, setzten von dort aus per Boot nach Amerika über, ein für diese Zeit einmalig waghalsiges Abenteuer. Menschen haben zwar schon weit früher Boote benutzt, aber gleich einen ganzen Ozean überqueren, mit Wind, Seekrankheit, Haifischen und allen möglichen anderen Unwägbarkeiten? Stammen die Amerikaner also von Europäern ab? Eine Hypothese, die in der Fachwelt mit gemischten Gefühlen betrachtet wird – einige halten sie vorsichtig ausgedrückt für Unfug, andere immerhin für plausibel. Die Besiedlung Amerikas könnte natürlich auch in mehreren Wellen erfolgt sein, zunächst per Boot aus Asien, dann per Schiff aus Europa, dann zu Fuß aus Asien oder umgekehrt oder ganz anders.
    Wenn man den Atlantik überqueren kann, dann müssen auch andere Ozeane machbar sein. Deshalb schlagen einige Wissenschaftler Szenarien vor, in denen die Uramerikaner quer über den Pazifik entweder aus Asien oder
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