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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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aber aus Australien in ihre neue Heimat vordrangen. Unter anderem, um herauszufinden, ob großanlegte Seefahrtsabenteuer für Steinzeitmenschen prinzipiell infrage kamen, segelte der norwegische Abenteurer Thor Heyerdahl 1947 mit dem primitiven Floß Kon-Tiki von Südamerika nach Ozeanien. Letztlich hat er damit allerdings nur bewiesen, dass Thor Heyerdahl mit skurrilen Schiffen Weltmeere überqueren kann, über die Urmenschen sagt das wenig aus. Denn nicht alles, was machbar ist, wird von der Welt auch tatsächlich durchgeführt. Möglichkeiten für die Besiedlung Amerikas jedoch gibt es viele. Am Ende kamen «sie» gar aus der Antarktis: Schließlich ist es viel zu kalt dort und überdies die Hälfte des Jahres dunkel. Wer würde unter solchen Umständen nicht auswandern?

Anästhesie
Können Sie mir sagen, welches von diesen zwei Taschentüchern stärker nach Chloroform riecht?
Sam & Max, Freelance Police
    Zum Glück braucht man in der Praxis nicht unbedingt zu wissen, warum etwas funktioniert, damit es funktioniert. Wäre es anders, könnte man ja keinen Kugelschreiber benutzen. Dass Narkosen sehr zuverlässig funktionieren, ist seit hundertfünfzig Jahren bekannt, aber warum sie funktionieren – lesen Sie an dieser Stelle nicht weiter, wenn Sie demnächst unters Messer müssen –, weiß niemand so genau. Klar ist, dass eine Vollnarkose das Rückenmark, das Stammhirn und die Großhirnrinde beeinflusst und so einen Zustand der Bewusstlosigkeit, Schmerzfreiheit und Muskelentspannung hervorruft, nach dessen Ende sich die meisten Patienten an nichts erinnern können. Beim Feintuning der erwünschten Narkose und der Unterdrückung unerwünschter Nebenwirkungen ist man inzwischen weit gekommen, eine eigentliche Erklärung der Anästhesie allerdings fehlt. Wir freuen uns zwar, dass es nicht umgekehrt ist, stehen damit aber heute wie vor hundert Jahren vor den Fragen: Wie und wo in der Zelle setzen Anästhetika an? Wie können die unterschiedlichsten Substanzen relativ gleichförmige Auswirkungen auf den Körper haben? Und wie kommt es von diesen Wirkungen auf die Zelle zu den komplexen Folgen für das Bewusstsein?
    Anästhetika gibt es in großer Zahl – vom simplen Edelgas bis zum unübersichtlichen Molekülgestrüpp ist alles dabei. Weil die chemische oder physikalische Struktur der Stoffe so unterschiedlich ist, kann es kaum spezifische Rezeptoren für sie geben. Das heißt aber nicht, dass es gar keine Gemeinsamkeiten gibt. Um das Jahr 1900 entdeckten der Marburger Pharmakologe Hans Horst Meyer und der Zürcher Biologie-Privatdozent Charles Ernest Overton mehr oder weniger gleichzeitig einen auffälligen Zusammenhang: Je fettlöslicher ein Anästhetikum ist, desto stärker seine Wirkung. Die nach den beiden benannte Meyer-Overton-Hypothese besagt, dass alle fettlöslichen Stoffe narkotisch auf die Zellen von Lebewesen wirken, und zwar insbesondere auf die Nervenzellen, da «in deren chemischem Bau jene fettähnlichen Stoffe vorwalten», wie Meyer schreibt. Man nahm an, dass sich das Narkosemittel in der Membran der Nervenzelle löst und so deren Eigenschaften verändert. Wie das funktionieren sollte, war unklar, und so brachte man einige Jahrzehnte mit vergeblichen Versuchen zu, diese «Lipidtheorie der Narkose» zu beweisen. Seit den 1970er Jahren wurde sie von der «Proteintheorie» abgelöst, die davon ausgeht, dass Anästhetika an Proteinen, also Eiweißen, in der Nervenzellmembran angreifen. Vereinfacht kann man sagen, dass die Kommunikation der Nervenzellen gestört wird, sodass sie – anstatt zum Beispiel eine Schmerzempfindung ordentlich adressiert weiterzuleiten – nur noch müde «Was? Wie war das?» murmeln. Die Proteintheorie ist in ihren Grundzügen mittlerweile gut belegt. Aber was genau stellen die Narkosemittel mit den Proteinen an?
    Vor wenigen Jahren gelang dem deutschen Pharmakologen Uwe Rudolph durch Versuche an genetisch modifizierten Labormäusen der Nachweis, dass einige Anästhetika spezifisch auf bestimmte Ionenkanäle – eine Art Ventile in der Nervenzellmembran – wirken. Ein Stoff mit dem schönen Namen Gamma-Aminobuttersäure (GABA) steuert das Öffnen und Schließen dieser Ventile und hemmt so die Signalweiterleitung. Rudolphs «GABA-Hypothese» besagt, dass Anästhetika an denselben Stellen andocken, die normalerweise von der GABA genutzt werden, und daher zur selben Hemmung und – auf einem noch zu erforschenden Weg – zum kontrollierten Abschalten des Gehirns führen
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