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Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)

Titel: Lexikon des Unwissens: Worauf es bisher keine Antwort gibt (E-Book zu Print) (German Edition)
Autoren: Kathrin Passig , Aleks Scholz
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menschlichen Fußabdruck fand man im Boden, normalerweise ein recht eindeutiger Beweis für die Anwesenheit von Menschen. Nach dem Clovis-Paradigma hätten die Urmenschen von Monte Verde früher als bisher angenommen über die Landbrücke nach Amerika gelangen müssen, in einer Zeit, in der große Teile Nordamerikas noch von Eis bedeckt waren. Die Wanderer wären nur bis in die Gegend des heutigen Fairbanks gekommen und dann auf den unüberwindlichen Gletscher gestoßen. Es muss also einen anderen Weg nach Monte Verde gegeben haben – und damit eine Prä-Clovis-Besiedlung Amerikas.
    Monte Verde war nicht der erste Ort Amerikas, an dem man Spuren der Clovis-Vorgänger fand, aber in allen anderen Fällen konnte sich die Archäologengemeinde nicht zu einer einigermaßen einheitlichen Meinung durchringen. Jahrzehntelange Kontroversen gab es zum Beispiel um die Ausgrabungsstelle Meadowcroft, eine Wohnhöhle in Pennsylvania, in der James Adovasio und seine Kollegen in den 1970er Jahren Speerspitzen und andere Werkzeuge freilegten, deren Alter teilweise auf 16 000 Jahre geschätzt wurde – deutlich vor der Clovis-Schwelle. Viele Jahre versuchte Adovasio vergeblich, die Kritiker von seinem Fund zu überzeugen. Strittig waren dabei vor allem die Altersangaben. Die wichtigste archäologische Methode zur Altersbestimmung misst den Gehalt an «C14», einem Isotop des Kohlenstoffs, das radioaktiv ist und im Laufe der Zeit zerfällt. Die Menge des heute noch vorhandenen C14 kann daher als eine Art Uhr eingesetzt werden – sofern es einem gelingt, in den jahrtausendealten Ausgrabungsstätten die Kontrolle über alle Atome zu behalten. Zum Beispiel muss sichergestellt sein, dass die alten Knochen nicht auf verschlungenen Wegen mit jüngeren Kohlenstoff-Atomen verunreinigt wurden. Trotz aller Probleme: Im Falle von Monte Verde einigte sich die Fachwelt nach mehr als zwanzig Jahren Debatte auf eine allgemeine Akzeptanz der Prä-Clovis-Daten. Im Jahr 1997 kontrollierte ein ausgewähltes Konsortium aus Experten, von Adovasio als «Paläopolizei» bezeichnet, den Ausgrabungsort und bestätigte Dillehays Ergebnisse. In den Worten eines anderen Experten, David Meltzer aus Dallas, der dem Gremium angehörte: «Monte Verde war der Wendepunkt. Die Clovis-Latte war gerissen.» Seitdem herrscht wieder Ungewissheit über die Geschichte Amerikas.
    Die Fundstücke aus dem Süden Chiles sind nicht das einzige Problem der Clovis-Theorie. So ist es zumindest zweifelhaft, ob die ersten Amerikaner wirklich alleine imstande waren, die Megafauna auszurotten. Heute geht man meist davon aus, dass entweder die extremen Klimaveränderungen am Ende der Eiszeit oder aber eingeschleppte Krankheitserreger den Urmenschen beim Kampf gegen die großen Felltiere zu Hilfe kamen. Andere Bedenken gegen das Clovis-Paradigma kommen von Linguisten, die seit langem klagen, dass 12 000 Jahre nicht dafür ausreichen, aus der Sprache der Clovis-Menschen die etwa 900 Indianersprachen zu entwickeln, die man zu Kolumbus’ Zeiten in Amerika vorfand. Entweder müsse Amerika deutlich früher besiedelt worden sein oder aber nacheinander von verschiedenen Völkern. Zu einer ähnlichen Schlussfolgerung kommen Genetiker: Von bestimmten Genen weiß man ungefähr, wie oft sie sich durch Mutation verändern. So kann man durch Vergleich der Gene von Nordamerikanern und Asiaten abschätzen, wie lange es her ist, dass sie sich voneinander trennten. Auch hier erhält man Daten, die auf eine Besiedlung Amerikas vor 15 000 bis 30 000 Jahren hindeuten, in Übereinstimmung mit dem, was die anderen Wissenschaften sagen.
    In der Archäologie kommen die entscheidenden Argumente jedoch immer aus dem Boden. Darum waren viele froh, als im letzten Jahrzehnt die Erkenntnisse von Monte Verde an Ausgrabungsstellen mit Namen wie Cactus Hill, Topper und Taima-Taima, verstreut über ganz Amerika, bestätigt wurden. Nachdem die Clovis-Latte einmal gerissen war, gab es kein Halten mehr – einige der neueren Funde sind womöglich 30 000 bis 50 000 Jahre alt. Anhaltende Streitigkeiten unter den amerikanischen Archäologen sind für die nähere Zukunft garantiert.
    Im Mittelpunkt dieser Diskussionen steht seit Sommer 1996 das Gerippe eines Mannes, der vor etwa 9000 Jahren im Nordwesten der USA lebte, in der Nähe der Stadt Kennewick. Damit ist der «Kennewick-Mann» fast doppelt so alt wie der europäische Eiszeitmensch «Ötzi». Der arme Mann muss ein hartes Leben geführt haben; er überstand verschiedene
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