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Leute, mein Herz glueht

Titel: Leute, mein Herz glueht
Autoren: Alexa Hennig Lange
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tut gerade nichts zur Sache. Erst will ich Klarheit. »Wo ist er denn?«
    Und schon stottert sie rum: »Ja, keine Ahnung. Ich habe auch schon versucht, ihn auf dem Handy zu erreichen. Aber das ist abgestellt. Drüben bei Samuel habe ich es auch schon probiert. Der weiß auch nichts.«
    Ich kotze. Mama kommt mit umgebundener Schürze wieder rein und guckt mich komisch an. Ich mache so eine Handbewegung, dass sie weiß, dass sie mich jetzt bitte nicht ablenken soll. Also verschwindet sie zögernd in die Küche. Und ich quietsche mit dünner Stimme in den Hörer: »Okay, danke.«
    Johannes’ Mutter spürt wohl, dass ich echt am Abgrund entlangwanke. Darum meint sie: »Tut mir leid, Lelle. Falls du etwas von ihm hörst, sag ihm bitte, er soll sich melden. Ich mache mir nämlich auch langsam Sorgen.«
    »Mache ich... Seit wann ist er denn weg?«
    »Na ja …«
    Plötzlich muss sich Johannes’ Mutter ziemlich räuspern, als hätte sie einen gewaltigen, nicht zu bezwingenden Frosch im Hals. »Er ist gestern Abend zur Bandprobe gegangen und danach ist er irgendwie nicht mehr nach Hause gekommen.«
    »Verstehe.«
    Frau Bachmann räuspert sich schon wieder. »Lelle?«
    »Ja?«
    »Komm uns trotzdem ab und an besuchen, ja?«
    Ich lege den Hörer auf und heule los. Auf der Stelle. Die Tränen spritzen mir im hohen Bogen aus den Augen und ich weiß: Alles ist aus! Und wie ich da gekrümmt neben dem Telefontischchen stehe und versuche, den Hörer wieder anständig auf die Gabel zu legen, kommt meine strahlende Schwester Cotsch durch den herbstlichen Garten ins Wohnzimmer gerauscht. Sie hat wie immer die engsten Jeans an, die es bei Miss Sixty zu kaufen gibt. Dazu einen noch engeren Pulli, sodass sie eigentlich gleich nackt rumlaufen könnte.
    Sie schmeißt ihre riesige Sporttasche aufs Sofa und fragt voller Mitgefühl: »He, Lelle! Was gibt’s zu heulen?«
    Dann nimmt sie mich in den Arm und drückt mich fest an sich. Das tut gut. Ihre Locken kitzeln mich im Gesicht und ich rieche ihr schweres Parfüm. Es heißt »J’adore«. Das bedeutet so viel wie: Ich begehre dich. Irgendein Freak hat ihr das mal ungefragt zum Geburtstag geschenkt. Damit sprüht sie sich gerne von oben bis unten ein, um die Männer zu betören. Das ist ihr Hobby: Männer betören, bis sie vor ihr auf den Knien rumrutschen und darum betteln, wenigstens für eine halbe Stunde mit ihr zusammen sein zu dürfen. Irgendwann erbarmt sich meine Schwester ihrer, aber nur für ein paar Augenblicke, eben gerade so lang, bis die Typen von ihr abhängig sind und meinen, ohne sie nicht mehr leben zu können. In dem Moment serviert sie die dann so was von ab, dass denen Hören und Sehen vergeht. Meine Schwester serviert alle Männer ab, damit die niemals auf die Idee kommen, sie abzuservieren. Ziemlich clevere Taktik, wie ich finde. Das hätte ich mal bei Johannes machen sollen. Einfach abservieren. Zack. Dummerweise bin ich nur überhaupt nicht der Typ dafür. Ich richte die Wut grundsätzlich gegen mich selbst.
    Nur einmal ist Cotschs Rechnung mit dem Abservieren nicht aufgegangen. Vorletztes Jahr hat nämlich tatsächlich ein Typ gewagt, sie abzuservieren: Antoine. Darum glaubt Cotsch bis heute, dass er ihre große Liebe war. Zur Info: Antoine lebt eigentlich bei seiner Mutter in der Provence. Doch vor zwei Jahren war er zu Besuch bei seinem Vater Gérard-Michel, der mit seiner dritten Ehefrau Dorle in unserer Nachbarschaft wohnt. Cotsch hat sich direkt in ihn verliebt und wollte zukünftig mit ihm ein kultiviertes Leben in Paris führen. Doch bevor es so weit kommen konnte, hat Papa Antoine eines Nachts in Cotschs Rüschenkissen erwischt und hochkant rausgeworfen. Danach hat Antoine sich nie wieder gemeldet. Nicht ein Mal! Dabei konnte meine arme Schwester ja gar nichts dafür. Ich würde sagen: Sie ist daran zerbrochen. Und nun zieht Johannes die gleiche Nummer bei mir ab. Mit dem Unterschied, dass ich nicht mal weiß, warum. Vermutlich werde auch ich an dieser Aktion zerbrechen. Scheiße, Leute! Ich bin doch gerade erst aus der Klinik gekommen! Da muss man doch ein bisschen Rücksicht auf mich nehmen!
    Als ich die Schulter meiner Schwester nass geheult habe, biegt sie mich mit beiden Händen zurück und glotzt mir prüfend in die Augen. »He! Was ist los? Willst du zurück in die Klinik oder was?«
    »Nein.«
    »Was dann?«
    Und bevor ich ins Detail gehen kann, ruft Mama schon mit ihrer hellen Stimme aus der Küche: »Constanze, bist du das?«
    Meine Schwester rollt
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