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Leute, mein Herz glueht

Titel: Leute, mein Herz glueht
Autoren: Alexa Hennig Lange
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sitzen meine Familie und ich draußen am Gartentisch. Gemeinsam bewundern wir das prächtige Farbenspiel der herbstlichen Bäume und Sträucher um uns herum - und wie die Sonne gülden durch die Blätter der Akazie bricht. Très pittoresque . Auf meinem Teller liegt noch immer das schmale Stück Apfelkuchen, und ich versuche mit aller Macht zu verhindern, dass ich mir Johannes im leidenschaftlichen Liebesspiel mit einem anderen Mädchen vorstelle. Es gelingt mir nicht. Dauernd sehe ich dieses Bild von nackten Armen und Beinen vor mir, die sich ineinander verschlingen. Dazu höre ich versaute Stöhn- und Knutschgeräusche. Echt widerlich! Also nehme ich meine Gabel, trenne die Kuchenspitze ab und stecke sie mir in den Mund. Ich kaue, und der Apfelkuchen schmeckt exakt so, wie er schon in meiner Kindheit geschmeckt hat. Richtig gut. Mama lächelt glücklich, und Cotsch hält ihr bereits zum vierten Mal den Teller hin, um ihr nächstes Stück zu empfangen. Meine Schwester kann unglaublich viel essen. Keine Ahnung, woran das liegt. Wahrscheinlich weil sie mit jedem Typen, der ihr über den Weg läuft, eine Nummer schiebt. Das verbraucht Kalorien. Überhaupt hat Cotsch das volle Verrenk-Programm drauf. Das weiß ich, weil sie es mir mal verraten hat. Sie meint: »Als gute Liebhaberin musst du alle Tricks auf Lager haben. Facettenreichtum ist gefragt!« Wenn die Typen es verlangen, zieht sie sich auch gerne mal was Hochhackiges an oder setzt sich Bunny-Plüschohren auf. Cotschs Leitsatz lautet: »Im Bett eine Hure, im Haus eine Hausfrau.« Der Witz an der Sache ist nur, dass sie noch nie einen Staubsauger in der Hand hatte, geschweige denn ein Ei kochen kann. Sie meint: »Das muss ich auch gar nicht, weil ich später einen Mann heiraten werde, der so reich ist, dass wir zehn Putzfrauen haben, die uns ständig Eier kochen - wann immer wir welche wollen.«
    Dass Mama bis dahin ihre schwer schuftende Putzfrau darstellt, übersieht Cotsch allerdings beflissentlich. Sie benimmt sich jetzt schon wie die Dame des Hauses und lässt sich von vorne bis hinten bedienen. Darum gehe ich Mama oft unterstützend zur Hand, damit sie sich hin und wieder auch mal von der ganzen Schufterei erholen kann. Das ist ja ein endloses Unterfangen. Die totale Sisyphusarbeit. Besonders wenn Cotsch anwesend ist. Ständig bestellt sie bei Mama was zu essen und lässt ihr dreckiges Geschirr anschließend rumstehen. Sobald Mama fertig geputzt hat, kann sie wieder von vorne anfangen. Ich wollte es ja eigentlich für mich behalten: Aber wenn Cotsch oben im Badezimmer wieder mit Enthaarungscreme ihre Beine geglättet hat, haben Mama und ich anschließend ganz schön mit dem Abfluss zu kämpfen.
    Und weil mir wegen Johannes plötzlich alles andere total egal ist, esse ich mein Stück Kuchen komplett auf und lasse mir gleich noch ein neues geben. Das stopfe ich mir auch noch rein. Das tut gut. Hundert Jahre habe ich nicht mehr derartig geschlemmt. Fast ist es so wie früher, als ich gar nicht übers Essen nachgedacht habe und auch keine Panik hatte zuzunehmen. Mann, Leute! Da war ich vielleicht glücklich!
    Papa wischt sich mit der Serviette seinen Mund ab und meint auch gleich ganz ergriffen: »Es macht ja nichts, wenn du an den Hüften wieder ein bisschen runder wirst.«
    Mama fällt vor Schreck fast die Kuchengabel aus der Hand und auch Cotsch schüttelt über so viel Beschränktheit den Kopf. Ich grinse gequält und denke, dass Papa den Charakter von Magersucht offenbar noch nicht ganz geschnallt hat. Und weil er wie durch ein Wunder merkt, dass seine Wortmeldung nicht ganz das Wahre war, fragt er mit einem Mal total vergnügt: »Und? Hat Johannes sich schon gemeldet?«
    Leute! Mein Vater ist ein echtes Phänomen! Der hat die absolute Begabung dafür, immer genau die Themen anzuschneiden, die am meisten stressen. Congratulations! Gerade habe ich mir Johannes mal nicht im leidenschaftlichen Liebestaumel vorgestellt - schon ist das Bild wieder da. Danke, Papa!
    Meine Kehle schnürt sich zu, und Mama checkt natürlich sofort, was Phase ist. Sie räuspert sich und meint noch vergnügter als Papa: »Bestimmt ruft er gleich an.«
    Doch Cotsch schüttelt mit verächtlichem Blick ihren Kopf und meint ganz cool: »Das glaubst du doch selbst nicht, Mama. Der steckt erst mal genüsslich einen weg. Und dann, wenn sein Gewissen ihn plagt, wird er anrufen. Aber Lelle wird nicht drangehen. Stimmt’s?«
    Ich nicke und versuche, den letzten Kuchenbissen runterzuwürgen.
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