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Letzte Nacht in Twisted River

Letzte Nacht in Twisted River

Titel: Letzte Nacht in Twisted River
Autoren: John Irving
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unsinnig, eine Fahrt in den Ort zu wagen - Danny konnte irgendwas aus der Kühltruhe auftauen. Heute würde er auch aufs Holzhacken verzichten.
    Im Freien pikte der vom Wind getriebene Schnee Hero in sein ständig offenes, lidloses Auge; der Hund wischte sich immer wieder mit der Pfote übers Gesicht. »Nur vier Eimer, Hero - nur zwei Gänge zur Bucht und zurück«, sagte Danny zu dem Jagdhund. »Wir bleiben nicht lange draußen.« Doch gerade als Danny zum zweiten Mal zwei Eimer aus der Bucht zog, legte sich der Wind abrupt und komplett. Jetzt sank der Schnee in größeren und weicheren Flocken zu Boden. Die Sicht war nicht besser, doch es war nun angenehmer, draußen zu sein. »Kein Wind, kein Schmerz, Hero - was hältst du davon?«, fragte Danny den Walker Bluetick.
    Heros Stimmung hatte sich merklich gebessert. Danny sah dem Hund nach, der hinter einem Roten Eichhörnchen herrannte, dann zog er noch zwei Eimer Wasser (also insgesamt sechs) aus der Bucht. Jetzt hatte er im Haupthaus mehr als genug Wasser, um den Sturm zu überstehen, ganz gleich, wie viel Schnee noch fallen mochte. Und was machte es schon, wie lange der Schneesturm anhielt? Er musste keine Straßen frei räumen.
    In der Kühltruhe lag jede Menge Wildbret. Zwei Steaks sahen nach zu viel Fleisch aus, aber eins war vielleicht nicht genug für ihn - Danny beschloss, zwei aufzutauen. Er hatte jede Menge Paprika und Zwiebeln und ein paar Champignons; daraus konnte er eine Gemüsepfanne machen, dazu vielleicht noch einen kleinen grünen Salat. Für das Wild bereitete er eine Marinade zu - Joghurt und frischgepressten Zitronensaft mit Kumin, Kurkuma und Chili. (Diese Marinade kannte er aus dem Mao's.) In dem Ofen im Haupthaus legte Danny Holz aufs Feuer; wenn er die marinierten Wildsteaks neben den Holzofen legte, würden sie bis zum Abendessen auftauen. Es war erst Mittag.
    Danny gab Hero frisches Wasser und machte sich einen kleinen Mittagsimbiss. Der Schneesturm hatte Danny von seinen gewohnten nachmittäglichen Pflichten entbunden; mit ein wenig Glück konnte er weiter im Schreibschuppen arbeiten, wo sein erstes Kapitel auf ihn wartete. Nur das Furzen des Hundes würde ihn ablenken.
    »Unter den Baumstämmen«, sagte der Schriftsteller laut zu Hero, testete die Formulierung als mögliche Kapitelüberschrift. Es war ein guter Titel für ein Anfangskapitel, dachte Danny. »Na komm, Hero«, sagte er zu dem Hund, doch kaum hatten sie das Haupthaus verlassen, als wieder Dannys Handy klingelte - der dritte Anruf des Tages. An den meisten Tagen, die er im Winter auf Charlottes Insel verbrachte, klingelte das Telefon überhaupt nicht.
    »Es ist der
Bär,
Hero«, sagte Danny zu dem Hund. »Was wollen wir wetten, dass die große Bärin unterwegs ist?« Doch der Anruf war von Andy Grant.
    »Ich dachte, ich hör mal, was bei euch los ist«, sagte Andy. »Wie übersteht ihr den Sturm, du und Hero?«
    »Hero und ich überstehen ihn ganz gut - wir haben es sogar richtig gemütlich«, sagte ihm Danny. »Ich taue gerade etwas von dem Hirsch auf, den wir zuasmmen geschossen haben, Andy.«
    »Du hast also nicht vor, einkaufen zu gehen?«, fragte ihn Andy.
    »Ich habe nicht vor,
irgendwohin
zu gehen«, antwortete Danny.
    »Das ist gut«, sagte Andy. »Bei dir herrscht doch bestimmt Whiteout, oder?«
    »Völliger Whiteout«, bestätigte Danny. »Ich kann Burnt Island nicht sehen - ich sehe nicht mal das Festland.«
    »Nicht mal vom hinteren Bootssteg?«, fragte ihn Andy.
    »Keine Ahnung«, antwortete Danny. »Hero und ich machen uns einen ziemlich faulen Tag. Bis zur Hintertür haben wir uns noch nicht getraut.« Es gab eine lange Pause - lange genug, dass Danny auf dem Display seines Handys nachsah, ob die Verbindung noch stand.
    »Du und Hero, ihr solltet vielleicht doch mal rausgehen und schauen, was ihr von dem hinteren Anleger aus sehen könnt, Danny«, empfahl Andy Grant dem Schriftsteller. »Ich würde an deiner Stelle vielleicht zehn, fünfzehn Minuten warten - und dann rausgehen und einen Blick riskieren.«
    »Wonach soll ich denn Ausschau halten, Andy?«, fragte Danny.
    »Nach einer Besucherin«, antwortete ihm der Handwerker. »Jemand sucht dich, Danny, und sie scheint wild entschlossen, dich zu finden.«
    »Wild entschlossen«, wiederholte Danny.
     
    Sie war auf der Krankenstation in Pointe au Baril aufgetaucht und hatte sich nach dem Weg nach Turner Island erkundigt. Die Krankenschwester hatte sie zu Andy geschickt. Jeder im Ort wusste, dass Andy Grant den
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