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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz
Autoren: Marcia Muller
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Ihnen. In mir auch nicht.« Ich brach ab und erinnerte mich. »Wissen
Sie, wie Stameroff diese Großen nennt? ›Die Leute, die zählen‹. Das bedeutet
natürlich, daß wir alle nicht zählen. Aber wissen Sie was? Es stimmt nicht. Nur
kapiert er das nicht.«
    »Wie meinen Sie das?«
    »Ich meine, daß wir selbst es nicht
zulassen, nichts zu zählen — indem wir uns hängenlassen und aufgeben. Ich
glaube, wir zählen sehr wohl — wenn wir zornig genug sind und tapfer genug oder
vielleicht auch nur dumm genug zu glauben, daß wir etwas ändern können.«
    Adah Joslyn sah mich gespannt an.
»Glauben Sie dieses Zeug wirklich?«
    Ich zuckte noch einmal mit den
Schultern. »Wie heißt es doch? Jeder muß an irgend etwas glauben.«
     
     
     

35
     
    Bevor ich mich am Montag morgen auf den
Weg ins Büro machte, mußte ich am Telefon erst einmal meine Überredungskünste
ausspielen. Schließlich gelang es mir doch, mit Roger Woods im Pflegeheim von
Cedar Springs zu sprechen. Woods bestätigte mir, daß er für das FBI
kommunistische Zirkel in San Francisco ausgeforscht habe. Begonnen habe das,
nachdem sein Vater an seiner, wie er sich ausdrückte, »Radikalsucht« gestorben
war. Melissa hatte nie Verdacht geschöpft. Bis zuletzt habe sie geglaubt, ihr
Bruder stehe treu für die Sache ein.
    In das Institute for North American
Studies habe er sich einschleusen lassen, nachdem er Leonard auf einer
Parteiversammlung der amerikanischen KP kennengelernt habe. Er sollte
unbestätigte Berichte überprüfen, nach denen noch andere Institutsangehörige
Leonards politische Neigungen teilten. »Die Ironie dabei war«, sagte er, »daß
ich dem Institut gerade absolute Sauberkeit bestätigen und Leonard nur eine
Lektion erteilen wollte, als die kleine McKittridge ermordet wurde.«
    Nach dem Mord schickte Woods’
Führungsoffizier ihn wieder an die Ostküste zurück. Dann streute das FBI unter
seinen ehemaligen Parteigenossen in San Francisco das Gerücht von seinem Tod
aus. Einige Jahre arbeitete er als Informant in New Jersey. Dann heiratete er
und zog mit seiner Frau in deren Heimat Iowa. Dort baute er Weizen auf einer
Farm in der Nähe von Cedar Rapids an, bis ihn Ende der achtziger Jahre die
Arthritis zum Krüppel machte. Als er in Rente ging, nahm er aus Sentimentalität
wieder Kontakt zu seiner Stiefschwester auf. Aber sie gehörte, wie er sich ausdrückte,
»nicht zu uns. Sie war und blieb eine Sympathisantin der Kommunisten. Und ich
mochte sie nicht wirklich.«
    Woods meinte, er spreche nur aus
Patriotismus mit mir. Er wolle nur, daß man wisse, wieviel Schlimmes die
Kommunisten damals angerichtet hätten. Für ihn seien sie heute noch zu vielem
fähig. Dieser Demokratisierungsprozeß in Rußland sei nichts als heiße Luft.
    Ich machte mir nicht die Mühe, ihm zu
erklären, daß meiner Meinung nach Leute wie er Verheerendes angerichtet hatten
in den fünfziger Jahren. Es wäre ihm gleichgültig gewesen.
     
    Bei All Souls ging ich sofort in Jacks
Büro. Er kniete auf dem Boden, rollte Kleider zusammen und stopfte sie in
seinen Rucksack. Daneben lag die Kletterausrüstung.
    Das war kein gutes Zeichen. Die
Kletterei war für Jack das, was für andere ein schwerer Alkoholgenuß war.
»Gehst du in Urlaub?« sagte ich.
    Er sah auf und packte weiter. »Ja.«
    »Möchtest du reden?«
    »Worüber?«
    »Judy hat Chavez dafür bezahlt, daß er
Lis und mich belästigte, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Warum?«
    »Weil sie einfach verrückt ist, darum.«
    Aber sie war nicht verrückt, und er
wußte das. Sie war berechnend, ja. Jack hatte den Fall anfangs nur zögernd
aufgegriffen. Erst die Serie von Belästigungen hatten ihn dann zornig gemacht
und zum Handeln getrieben. Bei mir hatte Judy wohl in eine etwas andere
Richtung gedacht: Sie wollte mich an eine aktuelle Gefahr glauben lassen, damit
ich mit größerem Eifer ermittelte.
    »Sie war besessen«, fügte Jack bitter
hinzu. »Total von der Idee besessen, Stameroff heimzuzahlen, was er ihr und Lis
angetan hatte. Genauso besessen von dem Gedanken, Lis heimzuzahlen, was sie ihr
ihrer Vorstellung nach als Kind angetan hatte.«
    In gewisser Weise konnte ich Judys
Beweggründe nachvollziehen. In den letzten zwei Wochen war ich mit Obsessionen recht
vertraut geworden. Der Gedanke, auf Dauer damit leben zu müssen, war
erschreckend: in einen Sog zu geraten, unbarmherzig von Kräften getrieben zu
werden, die man nicht im entferntesten verstand...
    Und dennoch rechtfertigte das nicht,
was sie getan
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