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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz
Autoren: Marcia Muller
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bemerkten
es ebenfalls und sahen sich bedeutungsvoll an.
    »Der Mann unter den Kiefern«, sagte
Judy ungeduldig.
    »Es war ein Mann ? Bist du
sicher?«
    Sie sah ihn an. In ihren Augen blitzte
der Ärger. »Es war ein Mann! Er bewegte sich wie ein Mann.«
    »Okay«, sagte er schnell, »du hast also
Angst, und du hast die Decke über dem Kopf. Was machst du jetzt?«
    Judy schwieg. Nur die Atemzüge der
Anwesenden waren in dem kleinen Zimmer zu hören. Von draußen tönte der Klageruf
der Nebelhörner.
    »Ich suche Mama«, sagte sie. Als sie
auf die Tür zusteuerte, wirkte sie konzentriert wie eine Schlafwandlerin.
    Ich fing Jacks Blick auf. Er schüttelte
den Kopf. Falls sie schauspielerte, hatte sie ihm davon vorher nichts gesagt.
    Wir folgten ihr mit geringem Abstand
die Treppe hinab und den Gang im ersten Stock entlang zu einer der
offenstehenden Türen. Judy tat, als öffne sie sie und schaue ins Zimmer. »Sie
ist nicht da«, sagte sie. »Jetzt gehe ich in die Bibliothek. Manchmal liest sie
dort nachts.«
    Wieder folgten wir ihr, doch jetzt
etwas mehr auf Distanz. Sogar Jack hing ein wenig nach, als fürchte er, ihre
Konzentration zu stören. Ein paar Stufen vor dem Ende der Treppe blieb sie
stehen. Stameroff und Eyestone standen jetzt zusammen. Eyestones Gesicht war
ausdruckslos, aber Stameroff runzelte die Stirn.
    »Die Haustür steht offen«, sagte Judy.
»Mama muß hinausgegangen sein... O nein, dorthin würde sie nicht gehen.«
    »Wohin, Judy?« fragte Jack.
    »Ich wollte sagen, zum Taubenhaus, aber
das würde sie nicht betreten.«
    »Warum nicht?«
    »Weil sich dort Daddy mit Cordy
trifft.«
    Einige Geschworene stöhnten auf.
Richter Valle hustete. Stameroff ballte seine Hände zu Fäusten. Judy bemerkte
keine dieser Reaktionen. Sie ging durch die Eingangshalle zur Haustür und trat
in den seltsam stillen Nebel hinaus, auf die leere Stelle am Steilufer über dem
Meer zu.
    Die Gruppe folgte ihr, und Louise
Wingfield gesellte sich zu mir. »So eine Vorstellung habe ich heute abend nicht
erwartet«, meinte sie. »Sie muß das Ganze spielen.«
    »Zu Anfang war das auch der Fall. Jetzt
weiß ich nicht mehr so recht. Haben Sie diese Informationen über Chavez
bekommen?«
    »Ja — ein seltsamer Zufall. Wie ich
Ihnen sagte, nutze ich gewaltig meine alten gesellschaftlichen Kontakte, um
Jobs für unsere Schützlinge zu finden. Also, der Arbeitsplatz, den Chavez
bekommen hat — und an dem er heute morgen das erste Mal gefehlt hat — war Judys
Theater, das Artist’s Showcase.«
    Ich blieb stehen und starrte sie an.
Ihre Worte überschlugen sich in meinem Kopf. Überschlugen sich mit anderen, die
ich in den letzten zwei Wochen gehört hatte. Und bildeten schließlich ein
fertiges Muster, das mich erstarren ließ.
    Bis jetzt hatte ich gewußt, wer. Und
ich hatte geglaubt zu wissen, warum. Aber ich hatte gefürchtet, daß andere
Dinge vielleicht für immer ungeklärt blieben.
    Jetzt hätte ich mir fast gewünscht, daß
es so wäre.
     
     
     

33
     
    Ich ließ Louise Wingfield stehen und
ging schnell über den holprigen Boden weiter. Zum Fundament des Taubenhauses,
wo die Gruppe jetzt stand und sich gegen den kalten Wind vom Meer
zusammendrängte. Ich wollte das Ganze stoppen, bevor es zu weit ging...
    Judy hatte sich hingekniet, wie in
meinem Traum. Berührte das runde Backsteinfundament, wie ich die Nacht zuvor.
Ich drängte mich zwischen den Menschen durch, die um sie herumstanden. Jack sah
mich, er schüttelte den Kopf und winkte mich zurück.
    »Ich bin hierher gegangen, um nach Mama
zu suchen«, sagte Judy mit ihrer Kleinmädchenstimme. »Im Taubenhaus war Licht.
Die Tür stand offen.«
    Ich drängte weiter vor. Jack packte
mich am Arm.
    »Mama kam aus dem Taubenhaus. Ihr Kleid
war vorn ganz rot. Ich habe mich zwischen den Bäumen versteckt.« Sie kroch
rückwärts und duckte sich unter die Zweige.
    Ich versuchte, mich von Jack
loszumachen. Er hielt mich fest. »Nein, laß sie.«
    »Du verstehst nicht...«
    »Ich verstehe mehr, als du glaubst.«
    »Sie hatte das Licht angelassen«, sagte
Judy. »Die Tür war offen.« Sie kam wieder unter den Zweigen hervor, stand auf,
schritt vorwärts. »Ich ging hin und sah hinein.« Sie beugte sich über die
Grundmauer. Schreckte zurück.
    Die Gruppe war nun von der Szene wie
gefangen. Niemand bewegte sich oder flüsterte auch nur. Mir lief ein kalter
Schauer über den Rücken, und ich versuchte erneut, mich von Jack loszumachen.
Sein Griff wurde fester, tat mir weh. Sein
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