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Letzte Instanz

Letzte Instanz

Titel: Letzte Instanz
Autoren: Marcia Muller
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während Allie in meinem knorrigen Apfelbaum einem imaginären Vogel
auflauerte.
    »Das Szenario der Mordnacht war genau
so, wie Sie es entworfen haben«, fügte Adah hinzu. »Und wie Sie sagten, es
steht alles in Lis Benedicts Abschiedsbrief. Man muß nur wissen, wonach man
sucht.«
    »In dem Abschiedsbrief und auf den
Fotos, die Eyestone unterdrückt hat.«
    In meinem Innern entstand die Szene
oben im Gang des Seacliff-Hauses: die zehnjährige Judy, wie sie Eyestone
beobachtet, der gerade aus der Suite seines Vaters kommt, wo er sich das Blut
abgewaschen hat. Judy fürchtete viel zu sehr, er könnte bemerken, was sie und
ihre Mutter getan hatten. Also kam ihr gar nicht die Frage, warum er dort oben
war. Warum er in frischer Abendkleidung dastand, die er sich von seinem Vater
geborgt hatte. Doch das neue Hemd war schlicht und hatte nur kleine Plissees,
keine Rüschen wie das, das mit Cordys Blut getränkt war.
    Eyestone war zu spät für das Defilee
ins St. Francis zurückgekommen, aber rechtzeitig genug für ein gemeinsames Foto
mit seinem Vater und John Foster Dulles. Ein möglicherweise verräterisches
Bild, war ihm aufgefallen, als er es am nächsten Tag in der Zeitung sah. Denn
es könnte jemand bemerken, daß er sich umgezogen hatte. Also hatte er den
Fotografen angerufen und die Vernichtung sämtlicher Negative von diesem Abend
verlangt. Ich hatte mich von Anfang an gefragt, welchen Grund er wohl dafür
genannt hatte.
    Aber etwas mußte Eyestone in den
folgenden Tagen verwirrt und zugleich neugierig gemacht haben, trotz seiner
Angst vor Entdeckung und Gefängnis. Gewiß, er hatte Cordy erstochen, aber er
hatte sie nicht bei lebendigem Leibe zerfleischt. Das hatte jemand anders getan
und dann die Leiche aufgebahrt — und Eyestone hatte sehr wohl einen Verdacht,
wer das gewesen sein konnte.
    Was ist besser, Deine Mutter für eine
zu Unrecht wegen Mordes Verurteilte zu halten, oder zu wissen, was für eine
verabscheuungswürdige Kreatur sie ist? Wie könntest Du meine Wut und meine
Enttäuschung verstehen und dieses schreckliche Gefühl, schließlich doch die
Dumme zu sein? Das Wissen, daß sie, wenn ich nicht handelte, für alle Zeit die
Gefühle Deines Vaters beherrschen würde?
    Eine verabscheuungswürdige Kreatur, hatte Lis Benedict geschrieben, weil
sie den Körper einer schönen jungen Frau verstümmelt hatte.
    Wut und Enttäuschung... die Dumme zu sein, weil sie so um die Konfrontation mit
Cordy gebracht worden war. Vielleicht um die Möglichkeit, ihr dabei das
anzutun, was bereits von einem Unbekannten erledigt worden war.
    Für alle Zeit beherrschen, weil selbst im Tode Cordy noch schön
war und solche Vollendung zerstört werden mußte.
    Aber dann war sie doch nicht fähig
gewesen, sich von der, die sie so geschändet hatte, einfach abzuwenden — denn
für eine abergläubische Frau wie Lis Benedict sahen die Augen eines toten
Menschen den an, der als nächster sterben würde. Und das war sie. Also legte
sie ihre Talismane auf.
    Bewaffnet mit Talismanen gegen Unglück, die Glückspennies aus verzinktem
Stahl, die Vincent Benedict ihr 1954 zum Jahrestag ihrer Eheschließung
geschenkt hatte. Pennies, die im Jahr ihrer Heirat geprägt worden waren.
Pennies zu ihrem elften Hochzeitstag, weil Stahl für die Beständigkeit stand.
Ein ungewöhnliches Geschenk, aber Vincent Benedict und seine Frau waren auch
ungewöhnliche Leute. Und wie der Münzhändler der Polizei gesagt hatte, schien
Benedict ein ironisches Vergnügen an dem Geschenk gehabt zu haben — an Münzen,
die von vielen Sammlern für unecht gehalten wurden und an die Schließung einer
Ehe erinnern sollten, die selbst unecht geworden war.
    »Und was Eyestones Motive anging, hatten
Sie auch recht«, fügte Adah Joslyn hinzu. »Das Schwein hat früh in seinem Leben
einmal einen Fehler gemacht, und daraus ist immer Schlimmeres entstanden.«
    Leonards Fehler war ein jugendlicher
Flirt mit dem Kommunismus gewesen. 1953 hatte er angefangen, mit radikalen
politischen Ideen zu spielen, und als er Roger Woods 1955 auf einer
Parteiversammlung kennenlernte, war er noch voller Idealismus und Neugier. Er
versuchte sogar, Cordy mit hineinzuziehen, doch sie tat das bloß als ein
weiteres Beispiel für seine eigenartigen Vorlieben ab. Bald schon bat Woods
Eyestone, ihn mit ins Institut zu nehmen und seinem Vater und den Mitarbeitern
vorzustellen. Diese Bastion des bourgeoisen Pseudo-Intellektualismus müsse
infiltriert werden, war Rogers These. Leonard, der
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