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Lesereise Tschechien

Lesereise Tschechien

Titel: Lesereise Tschechien
Autoren: Klaus Brill
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lichtes Tal hervor, das wie ein zärtlich Auge aufgeschlagen ist in dem ringsum trauernden Waldesdunkel.« Nun aber wurde im Namen des sozialistischen Fortschritts der Fluss aufgestaut, um Elektrizität zu erzeugen und den werktätigen Massen einen See fürs Urlaubsvergnügen zu schaffen. In ihm verschwand 1958 jener hübsche Grund, wo die Moldau laut Stifter »wie eine träge schillernde Schlange in den Wiesen« lag und mäandrierend just bei Oberplan zwei Schleifen in der Form eines Herzens bildete. Das Moldauherz.
    Es war besonders gut vom Gutwasserberg aus zu sehen, wo das alte Muttergottes-Kirchlein steht, und wo an diesem launischen Oktobermorgen der Wind so herzhaft ins vielfarbig übersonnte Laub der Bäume greift. Das Rauschen, ja. Im Tschechischen heißt es šuměni , ein Wort, das schumieni auszusprechen ist – was lautmalerisch nicht minder zwingend klarstellt, warum der Böhmerwald hier Šumava heißt: Schumava. Er rauscht halt, und keiner hat’s der Welt so schön gesagt wie Stifter. Auch der verweilt hier oben auf dem Gutwasserberg, seit neunundneunzig Jahren, in Bronze.
    Vor seinem Denkmal, auf einer Steinbank, sind zwei Kaffeekannen und ein Brotzeitkorb abgesetzt, Pullover liegen daneben, ein Bauplan ist darübergebreitet. Der junge Gartenbauarchitekt hat ihn hier abgelegt, zusammen mit einigen Männern sowie der Zahnärztin von Horní Planá und Lenka Hůlková, der Frau des Bürgermeisters, trägt er jetzt Setzlinge und junge Sträucher den Hang hinauf. Der Verein zur Erneuerung und Entwicklung des Stifter-Parkes ist am Werk, räumt Wege frei von Geschling und Gestein, das im vergangenen Halbjahrhundert das Terrain hat verwildern lassen.
    Man kann in dieses samstägliche Bürger-Engagement gar nicht genug symbolische Bedeutung hineinlegen, wiewohl auf der städtischen Website eine Umfrage unter tausenddreihundertvierundvierzig Personen bekannt gemacht wird, bei der achtunddreißig Prozent für und zweiunddreißig Prozent gegen die Erneuerung des Parks plädierten, dreißig Prozent erklärten sich unentschieden. Dies heißt ja nichts weniger, als dass in Horní Planá nach all den lähmenden Jahrzehnten des Nationalsozialismus, des Kommunismus und der Entzweiung jetzige (tschechische) Bewohner dort wieder anknüpfen, wo frühere (deutsche) aufgehört hatten. Der Stifter-Park ist nämlich schon 1880, da war Stifter zwölf Jahre tot, am Stammtisch der Gaststätte »Zum Kurschmied« als Idee geboren, mit Spendensammlung und Pflanzaktion realisiert und 1884 mit flatternden Fähnchen eingeweiht worden. Und in voller Absicht haben sich im selben Wirtshaus, jetzt heißt es »Kohba«, im Jahr 2001 jene Aktivisten getroffen, die den Stifter-Park wieder herrichten wollten, mit Spendensammlung und Pflanzaktion. »Wir wollten in dieser Tradition weitermachen«, sagt Lenka Hůlková, die Vorsitzende des Park-Vereines. Ihr Mann, der Bürgermeister, ist ebenfalls Mitglied und hat tags zuvor hier ebenfalls Gestrüpp gejätet.
    Kein Einzelfall. Im ganzen Land sind Initiativen entstanden, die als weitgespanntes Gewebe die amtlichen deutsch-tschechischen Freundschaftsbezeigungen machtvoll unterfangen. Gut Wetter ist. Prags Regierung hat 2005 mit der Geste gegenüber den sudetendeutschen Antifaschisten Bewegung gezeigt, wenn auch geringe, und wenn auch gegen Einsprüche konservativ-nationaler Kreise. Es gibt jedoch in Prag auch Leute wie den Doktoranden Ondřej Matějka, der erklärt: »Als Tscheche sage ich, es geht zu langsam. Die Politik ist einfach feige, die unterschätzen die Tschechen.« Die Tschechen würden seiner Meinung nach »schon mehr verdauen als diese Geste«. Eindeutige Erklärungen nämlich, wonach die Vertreibung von drei Millionen Deutschen nach dem Krieg ein Fehler war. Ondřej Matějka gehört zu jener Handvoll junger Leute, die 1998 in Anspielung auf einen vermuteten tschechischen Komplex in dieser Sache die Gruppe »Antikomplex« gründeten und ein Buch mit dem Titel »Zmizelé Sudety – Das verschwundene Sudetenland« herausbrachten, das ein Bestseller wurde. Es zeigt Vorher-Nachher-Fotos einstiger deutscher Dörfer, die nicht mehr existieren, auch im Böhmerwald, auch das Moldauherz ist zu sehen.
    Es ist mehr zu berichten. In Ústí nad Labem, vormals Aussig, wurde nicht nur eine Tafel zum Gedenken an das Massaker an Deutschen vom 31. Juli 1945 angebracht, es entsteht dort auch das Collegium Bohemicum, ein Museum zur Geschichte der Deutschsprachigen in den böhmischen Ländern. In einem
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