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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Autoren: Michael Bengel
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und gluckert. Bis Teddington ist sie ein Spielball der Gezeiten, hier aber fließt sie uns entgegen, doch die Oberfläche scheint im Wind der Quelle zuzufließen. Für die Flussfahrt hat das solche Folgen, dass die Schleusenwärter im Tidenbereich andere Rettungswesten tragen müssen als hier oberhalb. Unser Haubentaucher kost sein Weibchen, dass die beiden dünnen Hälse sich zu einem Herz vereinen. Wir drehen eine Pirouette, rumpeln zweimal an die Wand der Schleuse, dann öffnet sich das Tor von Penton Hook: Die Fahrt geht los. Gedrosselte acht Stundenkilometer schnell, sechzig Kilometer themseaufwärts durch das Herz von England. Hier liegen rechts im Grünen Runnymede und Magna Charta Island. Hier siegelte 1215 König Johann Ohneland die Magna Charta, hier trafen sich zwei Jahre darauf Henry III. und Ludwig VIII. Auch seine Tochter war hier überall – wie unser Haubentaucher: »Wo man auch hinkommt, man wird das Weib nicht los«, notiert Jerome.
    »Und wenn’s regnet?«, fragt in der Erzählung Harris: Wir haben ebenso gedacht. Es gibt genügend Gründe für die Annahme, dass sich die Praxis der Wettervorhersage seit 1889 sternenweit verbessert hat: Mit soliden Prognosen wie »a couple of showers«, »considerable cloudiness« und »rain and drizzle« hilft uns das Internet beim Kofferpacken. Dann aber scheint die ganze Zeit die Sonne, und Jerome kann sich die Hände reiben: Schlechtes Wetter ist schon schlimm genug, wenn es denn da ist. Uns treibt der Wind die Regenwolken fort und drückt das Hausboot an den Liegeplatz, wenn wir in die Schleuse navigieren wollen. Aber rain und drizzle bleiben aus. »It might clear up!«, die Tröstung aus dem Buch, das Prinzip Hoffnung der britischen Mentalität seit Thomas Mores »Utopia«, die Wendung, die wir in diesem Leben dutzendfach erfahren haben, bleibt in diesen Tagen ungehört.
    An der Bell Weir Lock hat der Schleusenwärter Feierabend, als wir kommen. Die grünen Bedienungspodeste an Schwanz und Kopf verlangen stumm nach Studium und Initiative. Was ist sluice und was ist gate – und wie spielen sie zusammen? Wir drücken zuversichtlich alle Knöpfe nacheinander, dann in Mustern. Das Wasser wartet weiter, ungerührt. Da kommt der lock keeper zurück, zivil, will heißen, ohne seine rote Rettungsweste, und verteilt erst einmal Faltblätter über »Locks and Weirs in the River Thames«. Dann drückt er auf dieselben Knöpfe, und nun schiebt sich die schwarze Mechanik der Auslaufschütze in die Höhe, stückweise, mit zwei Minuten Pause, wie uns Richard angekündigt hatte. In der Tiefe wühlt das Wasser, das Untertor öffnet sich, und wir gleiten in die Kammer. Wir schlagen die Seile um die Poller, dann wird das Einlaufschütz geöffnet, Wasser schießt von allen Seiten um das Boot, wir halten die Seile straff und geben wieder nach, das Stemmtor öffnet sich, wir fahren weiter. »Thank you, folks«, ruft er, »well done!« Höflich bis zur Selbstverleugnung.
    Bei Old Windsor Lock entdecken wir die Hochwassermarkierungen des 19. Jahrhunderts. Dann sehen wir zum ersten Mal den runden Turm von Windsor Castle mit dem Royal Standard obenauf: Sie ist daheim. Fast bilden wir uns ein, die Königin schaue uns womöglich zu. Zumindest teilen wir uns mit ihr für diesen Tag und für den halben morgigen eine der meistgenutzten Flugschneisen der Welt. Im Minutentakt donnern die Jets der Abendsonne zu, ehe sie nach rechts und links abkippen und sich auf ihre fernen Zielen richten. Zur Linken wechselt das Gelände: Platanen stehen abgezählt vor grünen Weiden, auf den Weiden die glücklichen Ochsen der Queen, überm Wasser regelmäßig Schilder: »Crown Estate. No landing or mooring.« So geht es schnurgeradeaus. Wir fühlen uns wie Douglas Fairbanks junior in Eastman Color: Die rechte Hand am Ruder, mit der Linken winken wir dem Polizisten unter den Platanen, der irgendeinen Hintereingang der Royal Horse Show zu bewachen hat. Und dann noch die Regatta. Im Gegenlicht. Geschrei vom Ufer, Kommandos von allen Seiten. Die Jungs von Eton, und tatsächlich alle im gestreiften Blazer. Von wegen, Mister Williams, »niemand trägt mehr Blazer beim Rudern«! Und einer sieht tatsächlich aus wie Harry, ungelogen, Henry Charles Albert David Mountbatten-Windsor, Prinz Harry von Wales. Aber der ist doch inzwischen älter und derzeit bei der Royal Air Force.
    In Datchet bringen wir die Nacht zu, schlafen fest wie Steine, auch wenn die Handpumpe, mit der wir Themsewasser in die Toilette pumpen
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