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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Autoren: Michael Bengel
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in einem Wohnmobil zu Wasser, zwölf Meter achtzig lang. Er stellt den Igel dar mitsamt der Igelfrau, in Henley, Marlow oder Maidenhead, von Chertsey bis an die Brücke von Sonning. Wohin wir kommen, schaut er uns mit kecken Augen an: Ik bün all hier! Wenn wir einen Wappenvogel brauchten: der Haubentaucher wäre ideal.
    Man kann den Mont Ventoux besteigen, ohne an Petrarca zu erinnern. Das Schweizer Emmental kommt ohne Jeremias Gotthelf aus wie Dublin ohne Joyce. Am Ende könnte man sogar nach Danzig-Langfuhr reisen, ohne Oskars zu gedenken. Doch eine Reise auf der Themse ohne »Three Men in a Boat« und Jerome K. Jerome wäre eine Unbedachtheit, eine leichtfertig verspielte Chance. Denn die Themse ist seit diesem kleinen Buch von 1889 nicht bloß ein Reiseziel, sie ist der Ausdruck einer Daseinsform. »To be on the river«: Das heißt, die Seele baumeln lassen, von den Beinen nicht zu reden, die Leichtigkeit des Seins nicht zu beschwören, sondern sie vor Ort zu wiegen! Es heißt, sich Heraklit zu überlassen, den Wechsel als Garanten des Bestehens zu begreifen. Kein Zufall also, dass die Nebenflüsse, die hier münden, River Wey und River Bourne, etymologisch allesamt dasselbe meinen: Wasser eben, Fluss, so wie bereits der Name »Themse«. Jeromes Erzählung hat dieses emblematische Gewässer und seine Fährnisse neu definiert. Und die Themse dankt es ihm seither, indem sie ihn unsterblich hält, auch wenn sein übriges Gesamtwerk beim Lesepublikum vergessen ist.
    Die drollige Geschichte seiner Hochzeitsreise auf der Themse sowie, vermutlich, zahlreicher ähnlicher Paddeleien, in die Unternehmung einer von sich selber überzeugten Männerwelt verwandelt, erinnert auch daran, dass »Humor« ursprünglich »Feuchtigkeit« bedeutete und eine Angelegenheit der Körpersäfte war. Hier ist die Welt ein einziger Fünf-Uhr-Tee mit Gurkensandwiches und scones mit clotted cream , und die Szenerie der Uferlandschaft mit ihren schönen falschen Tudorhäusern, palladianischen Palästen, mit weiß lackierten Wintergärten und wohlgesetzten Bäumen, erinnert an die korkbeklebten Untersetzer, auf denen überall der Tee serviert wird. So reisen wir dem Fluss entgegen – von Bild zu Bild genau wie von Brettchen zu Brettchen.
    Die Flecken East and West Molesey vor den Toren Londons klingen schon nach Nether Addlethorpe und Middle Fritham, doch wir steigen erst in Chertsey zu, bei Shepperton, wo damals George die Fahrt begann mit einem Banjo als Gepäck, das die beiden anderen für eine Pfanne hielten. Ein bezeichnendes Versehen: Niemand geht an Bord mit einem Banjo! Eine Pfanne aber wäre praktisch. Doch nach der Lektüre wird man eher mit dem Unverhofften rechnen. Und wenn man auch ins Wasser fiele: Mutmaßlich müsste man lachen, weil man beim ersten Lesen schon gelacht hat. Drei Mann in einem Boot – mit Hund und ohne Dosenöffner! Und dabei war das Buch zunächst gedacht als Reiseführer. So behauptet jedenfalls Nigel Williams, der 1993 wieder ein Themsebuch schrieb und mit dem Titel voller Ehrfurcht räuberte: »2 ½ Männer im Boot«. Erst der Lektor habe nachträglich, durch bloßes Streichen des doch eigentlich Bestellten, aus der Zweckschrift »eins der witzigsten Bücher der englischen Literatur« gemacht. Williams wohnt, nebenbei, in Putney, wo seit 1845 das Ruderrennen zwischen Oxford und Cambridge ausgetragen wird. Auch er ist von der Themse infiziert.
    Die Penton Hook Marina ist mit fünfhundertfünfundsiebzig Ankerplätzen die größte ihrer Art im Inneren des Landes, in dem kein Flecken mehr als hundertzwanzig Kilometer entfernt ist vom Meer, dieser ganz gewiss nicht. Unser Schiff heißt »Classique« und sieht entsprechend aus, nicht so ein Zweier-Ruderboot, in dem schon die Konflikte der Besatzung programmiert sind. Hilfreich ist die DVD des Anbieters, um Kapitän zu lernen. Doch entscheidend, wusste Adi Preißler, entscheidend is auf’m Platz. Also auf dem Wasser.
    Die Einweisung ist kurz und knapp: Richard, der uns das Boot überantwortet, stammt aus Penzance. Das liegt an Cornwalls Küste, wo jeder mit dem Wasser groß geworden ist und jeder denkt, das sei auch andernorts nicht anders. Und deshalb: Well, folks , links ist links und rechts ist rechts. Das Gas nach vorne heißt: voran, nach hinten heißt es rückwärts. Ganz so wie Autofahren. Nur dass ein Boot acht Tonnen wiegt und keine Bremsen hat. Ein Auto lenkt man vorne und die Straße hält still. Unser Boot lenkt hinten, und die Wasserstraße gluckst
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