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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Autoren: Michael Bengel
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Hubert gekannt – und nicht nur ihn. Da war ein heimlicher Geliebter mit dem Kosenamen Thumper, der englischen Entsprechung für den Hasen Klopfer aus Walt Disneys »Bambi«, und beim Blättern fand sich auch der Name Maitland!
    Das war mein Stichwort: »Sir!«, rief ich zum Inspektor hinüber und stand auf, »ich vermute, die junge Lady war hier mit einem ›Mister Maitland‹ verabredet!« Ein Raunen ging durchs Restaurant, währenddessen ich den »masskadeiihh«, den Muscadet, zu kosten hatte, den der Wirt mir eben präsentierte. Als der Wein probiert war, hatte sich zwei Tische weiter Folgendes herausgestellt: Der elegante Herr im Smoking hieß Charles Maitland und räumte widerstrebend ein, die Tote, wenn auch flüchtig nur, gekannt zu haben. Sie sei bei ihm beschäftigt, sagte er, vielmehr, nach Lage der Dinge: beschäftigt gewesen. Er sei der Inhaber des großen Londoner Hotels, in dem Monsieur Hubert beschäftigt sei, und mit der ganzen Tafelrunde in der Ecke über das Wochenende zu Besuch; neben ihm, im Rollstuhl und in Grau, Mrs. Maitland, seine Gattin, gegenüber eine attraktive Amerikanerin im roten Kostüm, die sich als Jane Rogerson aus Cincinnati vorstellte und mehr mit ihrem Handy und dem Rest der Welt beschäftigt schien als mit ihrer Tischgesellschaft. Sie sei die Agentin des Kochs und augenblicklich landesweit dabei, ihn groß im Fernsehen herauszubringen! Einen Koch mit einer solchen Karriere? Jetzt hatten wir schon vier Verdächtige.
    Zum Hauptgang kam der Obduktionsbefund; und während wir den Lachs zerlegten, kamen wir der Wahrheit wieder ein Stück näher: Es war tatsächlich Gift, kein Schuss, dasselbe Gift, das auch in Spuren noch im Käse in der Wäschekammer steckte. Im Übrigen sei die Tote vor nicht langer Zeit durch einen Kaiserschnitt entbunden worden! Ein Aufschrei kam vom Ecktisch, an dem die vier Verdächtigen saßen: »Du Schuft!«, schrie Mrs. Maitland auf und goss ihrem Mann ein Glas Wein ins Gesicht. »Sogar ein Kind hast du mit ihr gehabt, du Klopfer, du – du Rammler!« Sie kramte einen Brief aus ihrem Abendtäschchen, glättete ihn und las, noch immer außer sich, die höchst lebendigen Liebkosungen der toten Annabelle Burton vor: »Dear Thumper – lieber Klopfer!«
    Jetzt verlor auch Mr. Maitland seine Contenance. Den Tränen nahe, gab er zu, ein Kind mit Annabelle gehabt zu haben. Wohlgemerkt: gehabt. Das Kind sei nämlich gleich gestorben, und der Mörder sei Hubert, der Koch aus dem französischen Cahors. Und so hörten wir wohl allesamt in einem Ferienhotel auf den Klippen der Isle of Wight zum ersten Mal den lateinischen Namen eines tödlichen Erregers, diesmal mit dem schönsten englischen Akzent: »listeria monocytogenes« – in Rohmilchkäse weit verbreitet, auch in Schalentieren und in geräuchertem Fisch. Mit anderen Worten: die Krönung jeder Haute cuisine. Das schien den meisten einzuleuchten, waren sie doch gute Briten: Wer Froschschenkel und Innereien isst, der schlachtet, wenn es sein muss, wohl auch Säuglinge und junge Mütter! Motiv? Verschmähte Liebe, was denn sonst? Und wer wohl hätte eine bessere Gelegenheit gehabt, den Käse zu vergiften, als der Koch?
    Maitland packte Hubert am Kragen und hielt ihm mit der anderen Hand ein silbernes Tablett mit dem letzten Stück vom Camembert hin, das offensichtlich aus der Küche stammte: »Jetzt iss das auf und stirb, du Mörder!«, rief er außer sich – und setzte höhnisch hinzu: »Vielleicht beweist der Käse ja auch deine Unschuld!« Monsieur Hubert sank wimmernd in die Knie, wand sich unter allerlei Beteuerungen, bis ihn Maitland triumphierend von sich stieß, einmal ohne Zögern in den Käse biss und mit der Serviette elegant die Krümel von den Fingerspitzen tupfte.
    Wir waren allesamt betroffen, so mittendrin im heftigsten Geschehen. Wer würde wohl mit Käse morden? Niemand, der ansonsten gut bei Kräften war. Ein schrecklicher Verdacht kam in mir auf: Mrs. Maitland! Sie war seit einem Reitunfall vor langer Zeit gelähmt. Annabelle war jünger, hübscher und in jeder Hinsicht wohl beweglicher als sie. Hatte sie sich nicht mit dem zitierten Liebesbrief verraten? Allerdings: Auf diesen einfachen Gedanken wäre sie auch selbst gekommen. Dann hätte sie den Brief gewiss nicht noch herumgezeigt! War das Gift am Ende überhaupt für Annabelle bestimmt gewesen? Der Camembert, das hatte uns Hubert verraten, war seine liebste Vorspeise. Das wusste jeder, der ihn kannte: also diese vier auf jeden Fall.
    Uns
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