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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Autoren: Michael Bengel
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Übrigen blieb an den Tischen kaum die Zeit, uns über die Dessertauswahl auf dem Servierwagen zu beraten. Zum Kaffee sollten wir den Mörder haben. Noch einmal tat sich etwas in der Ecke: Mrs. Rogerson, die Agentin im roten Kostüm, schob schwankend ihren Stuhl zurück und bat uns alle, diese Störung zu entschuldigen. Ihr sei mit einem Mal so übel, es werde aber wohl gleich besser werden. Dann verschwand sie durch die Flügeltür zum Flur. Nach einer langen Schrecksekunde eilten zwei besorgte Damen hinterher auf die Toilette, und während wir zumindest einen Schrei und eine zweite Leiche zum Dessert erwarteten, kamen alle drei zurück, in der Mitte Jane, lebendig, wenn auch ein wenig verlegen.
    Mit dem Kaffee kam noch einmal der Inspektor an den Tisch und teilte rote Zettel aus, auf denen wir den Mörder überführen sollten, mit Namen, Lösungsweg und näherer Begründung. Verdächtig waren alle vier, und alle hätten auch Gelegenheit gehabt, das Gift zu injizieren, genau genommen auch die Tote selbst. Aber niemand mordet ohne ein Motiv! Wie stand es da um Mrs. Anderson? War sie wirklich bloß Agentin, nicht vielleicht Huberts Geliebte? Und kam denn wirklich nur Hubert infrage? Nicht eher noch sein Chef? Mrs. Anderson als Jane, Charles Maitland als ihr Tarzan: Auszudenken war es allemal! War auch sie am Ende schwanger? Das hätte ihren Schwächeanfall leicht erklärt. Aber war das ein Motiv? Wofür? Und auch: für wen?
    Oh, heilige Miss Marple, gesegneter Hercule Poirot! Ich strengte meine kleinen grauen Zellen an, denn schließlich konnten es nicht wirklich alle vier gewesen sein. Und siehe da: Mit einem Mal war alles klar! Ich schrieb die Lösung auf das Blatt und sah mit allen anderen den letzten Akt des Dramas: Charles Maitland bat Hubert noch einmal um Verzeihung wegen seines schrecklichen Verdachts. Er holte neue Gläser und entkorkte einen alten Bordeaux zur Versöhnung. Zwei Gläser goss er ein, und als Hubert noch zögernd dastand, ließ Maitland schon die Gläser klingen und trank genussvoll einen ersten Schluck. Nun folgte auch Hubert. Auf diesen Schrecken hatte er doch einen solchen Tropfen wohl verdient! Das Letzte, was er dann noch hörte, war die Wahrheit: Für ihn, Hubert, den Mörder seines Kindes und seinen Rivalen, hatte Maitland den bekannten Käse präpariert, nicht für Annabelle. Das arme dumme Mädchen hatte nur davon genascht. Jetzt war sie tot, nun wollte auch Charles Maitland nicht mehr leben. Aber Rache wollte er – und seine Ruhe! Und mit diesem Schlusswort brachen beide tot zusammen.
    Beifall, Schrecken, Jubelrufe! Mancher war wohl nahe dran mit seiner Lösung, mancher war auch völlig überrascht. Aber nur einer konnte der Sieger sein, der Sherlock Holmes für diesen Abend. Der Inspektor bat um Ruhe, alle Zettel in der Hand, dirigierte mit dem Arm die Blicke aller in unsere Ecke und präsentierte meine Lösung: Nur der Mörder hatte wissen können, welcher Käse überhaupt vergiftet war. Hubert war fast vor Angst gestorben, als ihn Maitland von dem letzten Bissen kosten lassen wollte. Also konnte nicht Hubert, und also musste Maitland unser Mörder sein – »voilà pourquoi!«
    Viele hatten auf die rätselhafte Mrs. Anderson getippt. Dabei war sie nur ein red herring , wie im Englischen die falsche Fährte heißt, die man bei der Schleppjagd durch die Büsche zieht. Ein Hering im roten Kostüm: Fast hätte man es ahnen können. Das Spiel war aus, und für die Siegerehrung war sogar die Tote wiederauferstanden. Den größten Beifall gab es für die kleinste Rolle: die schöne Annabelle Burton. So reizend wie schon einmal kam sie auf mich zu und gab mir diesmal einen Kuss, eine Urkunde und eine Flasche Champagner. Den Kuss gab ich artig zurück: Gerade ich war ihr das schuldig, dachte ich. Dann besah ich den Champagner. Er kam aus Kalifornien – und sein Name auf dem Flaschenetikett war »Tott«: wie »tot« mit Doppel-T.

Verstimmung, Nervenschwäche und schlechte Verdauung
    Royal Tunbridge Wells und seine Pantiles
    Wenn irgendwo die gute alte Zeit einmal zu Hause war, dann hier, in Royal Tunbridge Wells. Gewiss, vergangen ist sie heute hier wie überall; denn anders als vergangen hat es sie ja auch noch nie gegeben. Doch hier, im Heart of Kent, dem grünen Mittelpunkt des englischen Südostens, inmitten von Hopfen, Obst und heckenübersätem Weideland, im Talgrund zwischen felsgekrönten Buckeln, an deren Hängen längst die Stadt emporgewachsen ist, hier hat die alte Zeit sich
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