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Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End

Titel: Lesereise Südengland - Tea Time vor Land’s End
Autoren: Michael Bengel
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den Hinweis »Grundstück 1, Monk’s House, Rodmell. Ein altmodisches Haus inmitten von dreiviertel Acre Land bezugsbereit zu verkaufen.« In Lewes an der High Street im White Hart Hotel, wo wir zuvor beim lunch saßen, einem alten, stilbewussten Coaching Inn, erhielten sie für siebenhundert Pfund den Zuschlag – »ich mit purpurroten Wangen & L. zitternd wie Espenlaub«. Am ersten September zogen sie ein, zwei Wagenladungen brachten die nötigen Sachen, die Bücher hatte Leonard zu Packen fest verschnürt. Eine Woche später begann Virginia nach langer Pause ein neues Tagebuch und schrieb aufs Titelblatt: »Monk’s House. Rodmell. 7. Sept. 1919«.
    »Es ist ein unprätentiöses Haus«, so hatte sie zuvor notiert, »lang & niedrig, ein Haus mit vielen Türen; auf der einen Seite an die Straße von Rodmell grenzend, & an dieser Seite holzverschalt, obwohl die Straße von Rodmell an unserem Ende nicht viel mehr als ein Weg für Fuhrwerke ist, der auf die flachen Sumpfwiesen hinausführt.«
    Daran hat sich nichts geändert, die weiß lackierte Wetterseite gibt auch heute keinen Hinweis auf das Innere, und trotz der kleinen Eingangspforte treten wir, wie die Besitzer, von der Gartenseite her ins cottage . Das Wohnzimmer mit tiefer Balkendecke und rotem Fliesenboden ist mit schlichten Möbeln ausstaffiert, manche sind bemalt, Arbeiten aus Charleston wie der Tisch und die vier Stühle von Vanessa Bell und Duncan Grant, dem Vater ihrer Tochter Angelica, Virginias Nichte. Die Wände sind in einem hellem Grün gestrichen, das ins Türkis hinüberspielt. »Die Farbe Grün kommt mir in den Sinn, wenn ich an dieses Haus und den Garten denke mit seinen gewundenen Feigenbäumen und seinem weiten Rasen und dem Blick auf die Flussauen«, so erinnert sich Angelica Garnett: »Grün war die Farbe Virginias.« Als junges Mädchen hatte sie einmal mit einem selbst genähten Kleid aus grünem Möbelstoff ihren vierzehn Jahre älteren Stiefbruder George provoziert, der sich nach dem Tod der Mutter eine Erzieherrolle angemaßt hatte. Grün, für das man sie in der Familie belachte, war das Eigene, das sie nach außen hin behauptete.
    Der kleine Essraum schließt sich an die Küche, die nur halb zu sehen ist; die Räume oberhalb sind dem Besucher ebenfalls verschlossen. Virginia Woolfs Schlafzimmer ist an die Außenwand gebaut, kann – und konnte – nur vom Garten her betreten werden. »Ich musste immer daran denken, wie unangenehm es war, bei Regen hinaus zu müssen, um ins Bett zu gehen«, so erinnerte sich später Louie Mayer, die seit Mitte der dreißiger Jahre Köchin bei den Woolfs war. Vieles hatte nach dem Einzug noch verändert werden müssen. Am Anfang hatte es im Haus kein Bad gegeben, kein warmes Wasser, kein WC. Und der geheimnisvolle Name Monk’s House war vermutlich nur der Einfall eines früheren Verkäufers, um dem cottage mehr als seinen bäuerlichen Reiz zu geben: Mönche sind in Rodmell nicht belegt.
    1925 nahm sich die Hausherrin fest vor: »Ich will in diesem Sommer mit Schreiben dreihundert Pfund verdienen und in Rodmell ein Bad und heißes Wasser installieren lassen.« Und mit ihren »Essays« und »Mrs. Dalloway« nahm sie tatsächlich so viel Geld ein, dass sie den Umbau zahlen konnte. Dennoch blieb es ein einfaches, schmuckloses Haus, und noch im kalten Winter 1940 schrieb sie: »Es bläst ein schneidender Wind, scharf wie eine Sense, der Teppich im Esszimmer ist steif wie aus Gusseisen.« Das neue Badezimmer lag über der Küche; anfangs glaubte Louie Mayer, dass Mrs. Woolf dort oben lange Selbstgespräche führte, bis sie erfuhr, dass sie doch nur die Sätze sprach, die sie zur Nacht geschrieben hatte. Sie wollte hören, wie sie klängen.
    1929, als im Oktober »Ein eigenes Zimmer« erschienen war, hatte sie tatsächlich ihr Zimmer bekommen: Der Anbau mit dem Schlafzimmer war fertig, in dem sie, statt zu schlafen, häufig schrieb. Regelmäßig fand die Köchin hier den Boden mit Papier bedeckt, so wie im ganzen Haus, Blatt um Blatt geschichtet, oftmals mit denselben Sätzen.
    Hier finden wir auch ein Regal mit Büchern, meist neue Ausgaben und Übersetzungen ihrer Romane. »Das Haus muss einmal bis zum Rand mit ihnen voll gewesen sein«, erklärt die Dame vom National Trust. »Aber nach dem Tod von Mister Woolf wurde alles verkauft.« Schon zu Beginn des Krieges waren die Woolfs ganz nach Rodmell gezogen, und nach den Luftangriffen, als ihr Haus in London von einer Bombe getroffen wurde, brachten sie die
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