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Lesereise Nordseekueste

Lesereise Nordseekueste

Titel: Lesereise Nordseekueste
Autoren: Wolfgang Stelljes
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Fischer eben aussieht: auf dem Kopf die unvermeidliche Prinz-Heinrich-Mütze, am Leib ein warmes Flanellhemd und dazwischen ein wettergegerbtes, rotwangiges Gesicht. Das schaut allerdings gerade ein wenig ernst aus der Wäsche. Denn Tattje weiß nicht, ob er genug Wasser unterm Kiel hat. Die Flut kommt gerade erst.
    Zwölf Uhr dreißig: Der Letzte der zweiunddreißig Fahrgäste hat auf einer Holzbank Platz genommen. Tattje startet den hundertsechzig PS starken Motor. Vorsichtig manövriert er den fast fünfzehn Meter langen Kutter in Richtung Fahrrinne. »Null«, sagt er mit Blick auf das Echolot, »der geht voll über Grund.« Nur gut, dass die »Jens Albrecht II« eine Metallschiene unterm Kiel hat, »ungefähr drei Zentimeter dick, alle zwei Jahre ist die abgeschliffen«.
    Nach etwa zehn Minuten findet Tattje endlich Zeit, seine Fahrgäste zu begrüßen. Viele Worte macht er nicht: ein kurzes »Hallo«, ein Satz zu den Pfählen, die ihm den Weg weisen, dann ein weiterer zum Steindamm, der den Schlick abhält. »Wenn wir diesen Damm nicht hätten, könnten wir hier gar nicht fahren.« Dass das an diesem Tag auch so schwer genug ist, bekommen die Gäste nicht mit. Sie können in aller Ruhe den Kutter, Baujahr 1959, mustern: die Flaggen im Wind, die gelb gestrichenen Masten, die blaue Reling. Bei 3,6 Knoten gerät man fast unwillkürlich ins Sinnieren. Und die vielen Windräder an Land werden immer kleiner.
    Ein anderes Schiff dagegen wird immer größer. Es ist die »Wangerooge«, die Urlauber zurück nach Harlesiel bringt. Keine zehn Meter liegen am Ende zwischen den beiden Bordwänden. »Moin, Willi«, grüßt Tattje seinen Kollegen. Manchmal könnte er ihm fast die Hand reichen, vor allem bei Ostwind. »Dann geh’ ich da auf zehn Zentimeter dran vorbei.« Da hat er dann trotz »Scheuerleiste« Herzklopfen, jedenfalls »für einen Moment«. Aber eigentlich ist auch das kein Problem. Mehr Not hat er mit den Jachten, »wenn die da anzwitschern kommen«. Womit er natürlich nichts gegen Jachtbesitzer sagen will. »Fünfundneunzig Prozent fahren wirklich hervorragend«, meint er beschwichtigend und winkt mal kurz rüber zu Franz auf dem Versorgerschiff, das wir gerade passieren.
    Harlesiel hat die längste Fahrrinne aller ostfriesischen Häfen. Erst nach rund vier Kilometern markiert ein Leuchtfeuer das Ende des Leitdammes. Endlich haben wir freien Blick auf Spiekeroog. Ganz vorne, am Bug der »Jens Albrecht II«, lässt sich Jonathan Ort aus München den Wind um die Nase wehen. Der Zehnjährige beobachtet eine Jacht, die zu jenen fünf Prozent gehören dürfte, auf die Tattje nicht so gut zu sprechen ist. Jonathan ist auf Kur in Horumersiel, wegen der guten Luft, und findet die Kutterfahrt »eigentlich ganz okay«. Hinter ihm sitzt seine Mutter mit einem Fernglas und rätselt, um was es sich bei dem hohen Backsteinbau auf Wangerooge wohl handeln mag: »Ein Leuchtturm ist es nicht, ein Kirchturm auch nicht …«
    Herr Geifelhardt aus Pforzheim wirkt leicht angeschlagen. Obwohl das Schiff ruhig durch den Priel gleitet, ist er doch ein bisschen blass um die Nase. Just in diesem Moment bekommt die »Jens Albrecht II« auch noch Schlagseite. Alle drängeln auf die Backbordseite, weil dort eine Sandbank mit Seehunden auftaucht. Gerd Wojtczak, der zweite Mann an Bord, ermahnt die Gäste, leise zu sein, »sonst hauen die ab ins Wasser«. Tattje drosselt den Motor. »Ich komme bis auf zwanzig Meter ran, das wissen die Tiere schon, dass wir überhaupt keine Gefahr für sie sind.« Und wenn wirklich mal Leute an Bord sind, »die einen gehabt haben« und lärmen und pfeifen, kann er ganz fuchsig werden. Es sind viele Seehunde, achtzehn insgesamt. Einige machen sich sogar die Mühe und gucken in die Kameras. Mehrere Tiere sind trächtig. »Ende Mai kommen die ersten kleinen Seehunde, bei Ebbe geht die Mutter auf die Sandbank und – bums – ist das Kleine da.« Bis zur nächsten Flut hat der Heuler dann Zeit, sich an seine neue Umgebung zu gewöhnen.
    Seehunde hat auch Herr Geifelhardt schon mal gesehen, im Aquarium. Krabben dagegen, von Ostfriesen auch »Granat« genannt, kennt er nur in verzehrfertigem Zustand. Doch das wird sich gleich ändern. Denn Tattje hat seine Fanggründe erreicht, kurz hinter einem Priel. Deckmann Gerd wuppt die Baumkurre mit dem kleinen Netz über Bord. »Die Stange hält das Netz auseinander«, erklärt er, »die schwarzen Kugeln, die davor hängen, scheuchen die Krabben auf, und beim Ziehen des
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