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Lesereise Nordseekueste

Lesereise Nordseekueste

Titel: Lesereise Nordseekueste
Autoren: Wolfgang Stelljes
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noch verblieben waren, konnte seine Frau die Flucht für sich und ihre vier Kinder finanzieren.
    Nach dem Bekanntwerden dieser Vorgeschichte handelt die Kunsthalle schnell: Sie nimmt Kontakt zu einer noch lebenden Tochter in Tel Aviv auf und lädt sie ein. Ende April 1999 besucht Ruth Haller gemeinsam mit ihrem Mann die Kunsthalle. Das Bild von Otto Müller, erzählt sie, hing früher im Kinderzimmer ihres ältesten Bruders. Die Kunsthalle gibt es an die Erben zurück, ein herber Verlust. Umso erfreuter ist Eske Nannen, als es gelingt, sich auf einen Rückkauf zu verständigen. Heute hängt das Bild also wieder in der Kunsthalle. »Und wenn ich daran vorbeigehe, denke ich, ja, das ist mir ein wichtiges Bild.« In diesem Moment fällt ihr ein, dass Besucher die Geschichte dieses Bildes kennen sollten. Ein kleiner Text nur, gleich daneben. Sie macht sich eine Notiz.

Ausgebootet
Helgoland, Deutschlands einzige Hochseeinsel, hat zwei Gesichter und eine unsichere Zukunft
    »Irgendwo ins grüne Meer
    Hat ein Gott mit leichtem Pinsel,
    Lächelnd, wie von ungefähr,
    Einen Fleck getupft: Die Insel.«
    James Krüss
    Es ist tatsächlich nicht mehr als ein Fleck, dieses Helgoland. Eigentlich sind es sogar zwei Flecken. Einmal der »rote Felsen« mit Unterland und Oberland und einem Fahrstuhl dazwischen. Und dann gibt es ja auch noch die Düne, eine kleine, flache Nachbarinsel. Zusammengerechnet gerade mal 1,7 Quadratkilometer Land in einer unendlich weiten Nordsee. Nicht dass James Krüss, der berühmteste Sohn der Insel, das alles nicht gewusst hätte. Aber so ist das eben mit der dichterischen Freiheit. Wie überhaupt die Insel, die Krüss in Büchern wie »Der Leuchtturm auf den Hummerklippen« oder »Mein Urgroßvater und ich« beschrieben hat, mit dem heutigen Helgoland ziemlich wenig zu tun hat.
    Helgoland ist keine Insel, in die man sich auf den ersten Blick verliebt. An die Architektur beispielsweise muss man sich erst gewöhnen. Immerhin musste hier ein Ort, der im Krieg total zerstört worden war, komplett neu aufgebaut werden – ein deutschlandweit einmaliger Vorgang. Es gab damals lebhafte Debatten, zum Beispiel über den Neigungswinkel der Dächer. Herausgekommen ist ein einzigartiges Bauensemble, das zwar in Teilen unter Denkmalschutz steht, sehr zum Leidwesen mancher Helgoländer, aber von Touristen kaum eines Blickes gewürdigt wird. Aber wer fährt auch schon deswegen nach Helgoland …
    Im Grunde will der durchschnittliche Helgoland-Besucher dreierlei: ein bisschen Hochseeluft schnuppern, zollfrei einkaufen und die »Lange Anna« sehen. Und tatsächlich: Erst auf dem Oberland, wenn man die letzten Häuser hinter sich gelassen hat, beginnt man zu verstehen, warum es Leute gibt, die immer wieder nach Helgoland fahren. Da ist dieser unverstellte Blick auf eine mal spiegelglatte, mal aufgewühlte Nordsee. Da ist eine Luft, so jod- und sauerstoffreich, so staub- und pollenfrei wie an kaum einem anderen Ort in Deutschland. Und die »Lange Anna«, die muss man einfach gesehen haben – solange es sie noch gibt. Denn Deutschlands einziger frei stehender Felsenturm ist aus Buntsandstein und porös wie Zwieback. Irgendwann, soviel steht fest, wird das Wahrzeichen der Insel in sich zusammensacken.
    Aber dann gibt es ja immer noch den Lummenfelsen. Auch der ist Pflicht, vor allem im Frühsommer, wenn die jungen Trottellummen flügge werden und sich vom Felsrand in die Tiefe stürzen, begleitet vom ohrenbetäubenden Lärm ihrer Artgenossen. Nirgendwo sonst in Deutschland gibt es eine solche Brutvogeldichte, nirgendwo sonst so viele Arten. Zu Trottellumme, Tordalk, Basstölpel und Dreizehenmöwe, die hier brüten, gesellen sich die vielen Zugvögel, die auf der Insel Station machen. Hobby-Ornithologen steuern am besten direkt die Vogelwarte Helgoland an, die zweitälteste der Welt. Im Fanggarten mit seinen drei Helgoland-Reusen kann man bei einer Führung die Arbeit der Profis kennenlernen – wenn man genügend Zeit mitbringt.
    Denn der Tagesgast muss sich sputen. Nach einer Tour über das Oberland bleibt gerade noch Zeit für ein Fischbrötchen bei den Hummerbuden, Helgolands heimlicher Flaniermeile. Dann geht es auch schon wieder zurück, im großen Pulk mit all den anderen Ausflüglern, die ihre zollfreien Einkäufe und Schmuggelware in Plastiktüten davontragen. Und dem einen oder anderen dämmert: Drei oder vier Stunden, das reicht für diese Insel einfach nicht.
    Helgoland hat zwei Gesichter, und das freundlichere
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