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Lesereise Nordseekueste

Lesereise Nordseekueste

Titel: Lesereise Nordseekueste
Autoren: Wolfgang Stelljes
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Letzt die Süße des Kandis. Teetrinker sieht man übrigens – im Gegensatz zu Kaffeetrinkern – nie stehen. Man soll ja schließlich zur Ruhe kommen. Auch das gehört zur Philosophie des kultivierten Teetrinkens.
    Der Tee gehört zu Ostfriesland wie die Currywurst zu Berlin. Kaum ein anderes Völkchen auf der Erde trinkt so viel Tee wie die Ostfriesen. Alle, die das Teetrinken verbieten oder auch nur eindämmen wollten, sind elendig gescheitert, Preußenkönig Friedrich der Große ebenso wie die Nationalsozialisten. Der alte Fritz verordnete Bier statt Tee, wegen der heimischen Zutaten, und sandte sogar Spione aus, die Teetrinker denunzieren sollten – ohne Erfolg. Die braunen Machthaber wiederum wollten den Konsum mit Bezugsmarken drosseln, lächerliche dreißig Gramm pro Monat für einen ausgewachsenen Ostfriesen, gerade mal drei Liter – das reichte hinten und vorne nicht. Die Ostfriesen sollen in ihrer Not sogar zu Brombeerblättern und Kamille gegriffen haben. Schließlich ist Teetrinken in Ostfriesland eine Art Grundrecht. Bringt es heute ein durchschnittlicher Bundesbürger auf rund fünfundzwanzig Liter schwarzen oder grünen Tee im Jahr, so konsumiert ein durchschnittlicher Ostfriese weit mehr als das Zehnfache – kleine Ostfriesen, die sich noch ausschließlich von Muttermilch ernähren, mitgerechnet. Und die Briten? Die trinken inzwischen mehr Kaffee als Tee, keine ernst zu nehmende Konkurrenz also.
    Nein, Ostfriesland ist und bleibt das Teetrinkerland schlechthin. Und Leer ist die Hauptstadt dieses Teetrinkerlands, das jedenfalls betonen die Leeraner gern. Denn erstens wurde in der Stadt an der Leda schon um 1675 der erste Tee angelandet, zweitens wurde hier zum ersten Mal mit Tee gehandelt, und drittens steht mit »Bünting« das älteste und größte Teehandelshaus Ostfrieslands in Leer, gegründet 1806. Noch Fragen? Dann mal rein in die gute Stube, genauer: in das Hinterzimmer eines alten schmalen Hauses in der Leeraner Innenstadt. Hier, in der Tee-Akademie, erfährt man alles, was man über Tee wissen muss, hier haben auch wir die Kunst des richtigen Teetrinkens erlernt. Zu Beginn reicht Mitarbeiterin Barbara Völker einen kräftigen Schluck aus Branntwein und Tee-Auszügen. Das lockert. Dann geht’s zum Tee. Der Ostfriese mischt kräftige Assams aus Indien mit Darjeeling und Ceylon-Tee, sagt Völker. »Mit Darjeeling allein können Sie einem Ostfriesen keine Freude machen.« Dann öffnet sie sechs Dosen, entnimmt jeweils eine kleine Probe, wiegt ab, füllt den Tee in Tassen und ordert bei einer Kollegin in der Küche nebenan heißes Wasser. »Man braucht ein weiches Wasser, Ende sechs Grad deutsche Wasserhärte.« Während Johanna, ihre Kollegin, das Wasser bringt und der Tee ein paar Minuten zieht, erfahren wir, dass ein professioneller Teeverkoster bis zu vierhundert Tassen am Tag testet. Und dass man beim Teetesten schlürfen darf. Dann bekommt jeder einen original Teetesterlöffel, und schon schlürft sich der Freundeskreis aus Hagen in Westfalen, der an diesem Tag mit uns zusammen das Seminar besucht, durch die Probensammlung. Und weil so ein paar Löffel nicht reichen, wird nach einem Bummel durch das angrenzende Museum noch ein typisch ostfriesischer Blatttee serviert, schön kräftig im Geschmack. Drei Tassen für jeden, das ist »Ostfriesenrecht«. Mit Kluntje und Wulkje . Zwischendurch reicht Johanna Rosinenstullen, bestrichen mit dick Butter. Wenn man fertig ist, legt man seinen Löffel, den man ja sonst auch gar nicht braucht, in die Obertasse. Dann weiß der Gastgeber: Für heute reicht’s. So einfach ist das. Und wenn man sich das alles merkt, dann fällt man auch im Borkumer Teestübchen nicht weiter auf.

An der »Costa Granata«
Auf Krabbenfang vor Wangerooge
    Herr Sondermann aus Duisburg hat keine Angst. Auch Herr Brüderle aus Offenburg zeigt sich unerschrocken. Nur Herr Geifelhardt aus Pforzheim hat leichte Bedenken. »Wenn die Welle höher werde’, da könnt’ mir scho’ a bisserl schummrig werde’.« Die Herren Sondermann, Brüderle und Geifelhardt haben für sich und ihre Familien eine Kutterfahrt gebucht, von Harlesiel nach Wangerooge, inklusive Schaufischen und Krabbenpulen. Die erste Hürde haben sie für Landratten erstaunlich souverän genommen: über eine steile Leiter vom Rand des Hafenbeckens hinunter auf die schwankenden Holzplanken der »Jens Albrecht II«. Ihr weiteres Schicksal liegt nun in den Händen von August Tattje, der aussieht, wie ein richtiger
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