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Lesereise Nordfriesische Inseln

Lesereise Nordfriesische Inseln

Titel: Lesereise Nordfriesische Inseln
Autoren: Kristine von Soden
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Halt. Ein Glockenstapler wacht stattdessen im Gras neben der Kirche in einer architektonischen Mischung aus Bake und Gartenpavillon. Die spitze Haube ist nicht einmal halb so hoch wie die Kirche selbst – zum Schutz gegen Orkan und Sturm. Die Halligkirchen von Oland und Hooge haben ebenfalls Glockenstapler, gezimmert und gebaut, wie die Bezeichnung verrät, aus gestapeltem Holz. Auch auf dem Festland findet man diese Kirchturmform. Zum Beispiel in der Schleswiger Geest in Rickert bei Rendsburg. Die Dorfgemeinschaft war vom Hooger Glockenstapler derart angetan, dass sie eine Kopie davon für ihren Kirchhof in Auftrag gab. Und wie sieht es auf Gröde aus? Mit siebzehn Einwohnern ist die Hallig die kleinste Gemeinde Deutschlands und damit auch der kleinste Stimmbezirk. Die Wahlbeteiligung liegt konstant bei hundert Prozent. Die Stimmzettel werden in der Wohnstube von Bürgermeister Mommsen abgegeben und ausgezählt. Das Wahlergebnis steht bundesweit immer als Erstes fest. Auf Hallig Gröde steht auch Deutschlands kleinste Schule. Zwei Schüler besuchen sie aktuell, der eine in Klasse eins, der andere in Klasse drei, beide sitzen mit der Halliglehrerin zusammen an einem Pult. Der Unterricht findet unterm selben Dach mit der Halligkirche statt. Ihr Gemäuer stammt aus dem Jahr 1792, ihr Altar aus der Renaissance. Einen Turm hat Grödes Kirche nicht. Auch keinen Glockenstapler. Der schlichte Bau wirkt von außen wie ein schlichtes Friesenhaus – mit herrlicher Meeresaussicht. Alle vier Wochen ist je nach Wetterlage Gottesdienst. Denn der Halligpfarrer kommt von Langeneß. Bei Land unter oder Sturm oder Eisgang kommt er natürlich nicht, zumal es zur Hallig Gröde keine regelmäßigen Fährverbindungen gibt.
    Weltabgeschiedenheit prägte früher die Halligen, eine unheimliche wie zugleich geheimnisvolle Aura. Elfriede Rotermund, die »Halligdichterin«, geboren 1884 in Schlangen am Teutoburger Wald, fing den Alltag in ihren Novellen ein. Ein Genesungsaufenthalt hatte sie 1909 nach Nordfriesland gebracht, auf die Hallig Habel. Sie ist heute die kleinste Hallig im Wattenmeer, zwei Kilometer östlich von Gröde entfernt, bis zu sechzig Mal im Jahr herrscht Land unter, werden ihre Salzwiesen überspült. Auf der einzigen Warft mit einem einzigen Haus wie im Bilderbuch mit Reetdach und vergissmeinnichtblauen Fensterläden wohnt ein Vogelwart des Vereins Jordsand. Und nur diesem ist Zutritt zu diesem Paradies Tausender gefiederter Gäste erlaubt. Im Frühling machen Ringelgänse Rast auf Habel, schnattern sie im saftigen Gras, im Herbst schlagen sie sich im Watt mit Quellern den Bauch voll – rott, rott, rott.
    Elfriede Rotermund, damals noch unverheiratet mit ihrem Mädchennamen Schönhagen, erlebte 1909 auf der Hallig die schwere Novemberflut, notierte in ihr Tagebuch, »alles auf diesem winzigen Eilande predigt erschütternd Vernichtung«. Oft saß sie mit Kapitän Nommensen und seiner Frau zusammen, die »inmitten der von Prielen und Rinnsalen zerpflückten Fennen ihr karges Dasein fristeten, von der Größe ihrer Einsamkeit macht man sich so leicht keinen Begriff«. Als Lehrerin auf Borkum lernte sie später ihren Mann, Pastor Robert Rotermund, kennen. Durch Zufall erreichte sie dort die verlockende Nachricht, dass auf Hallig Oland die Pfarrstelle frei werde. Das Ehepaar bewarb sich, hatte Erfolg, blieb sechzehn Jahre lang. In dieser Zeit schrieb Elfriede Rotermund »Die große Stille« (1926) oder »Wenn die Stürme schweigen« (1929). Ihre Bücher gingen als Klassiker in die Halligliteratur ein.
    Längst profitieren die Halliglüüd von den Segnungen der Moderne – von Wasser, von Strom, von Telefon. Und die Halligen stehen »im Netz«. 2010 eröffnete das erste Vier-Sterne-Hotel! Wo? Auf Langeneß! Ausgestattet in nordisch frischem Stil mit handgefertigten hellen Möbeln, die Farben von »Anker’s Hörn« spiegeln die Naturschönheiten der Halligen wieder. In der Sauna »Verpuust« kann man sich nach einer steifen Brise aufwärmen. Wer lieber draußen schwitzt, schwingt sich aufs Fahrrad, kämpft gegen den Wind, der von allen Seiten bläst. Schon ab Stärke zwei, drei braucht man daher doppelt so lange wie normal, sofern man sich überhaupt vorwärtsbewegen kann – Fitnesstraining pur. Zuckersnuuten werden von der Hotelküche mit süßen Nachmittagsüberraschungen verführt. Zum abendlichen Menü mit Kutterscholle blinkt das Langenesser Leuchtfeuer. Wie im Film! Nur schöner! Wer es dennoch nicht lassen kann,
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