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Lesereise Nordfriesische Inseln

Lesereise Nordfriesische Inseln

Titel: Lesereise Nordfriesische Inseln
Autoren: Kristine von Soden
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Westerheversand auf der Halbinsel Eiderstedt und Hörnum auf Sylt sind.
    Umgeben von den Halligen und den Sandbänken Norderoogsand und Süderoogsand, liegt Pellworm einen Meter unterm Meeresspiegel und hat daher (neben Nordstrand) die höchsten Deiche an der deutschen Nordseeküste. Denn über Jahrhunderte hinweg wurde die Insel, die im Kern aus dem Westteil der 1634 vom Orkan zerrissenen Insel Alt-Nordstrand besteht, von Flutkatastrophen heimgesucht. Die Marschen gehörten einst zu den reichsten und fruchtbarsten in Nordfriesland. Doch waren die Ernteverluste durch immer neue verheerende Fluten 1717, 1791, 1793, 1825 so beträchtlich, dass die Landwirtschaft empfindlich litt. Heute sind die Deiche auf Pellworm acht Meter hoch und umschließen die Insel rundherum. Gäbe es diesen Schutzwall nicht, würde Pellworm bei heranstürmenden Wassermassen wie ein Becken volllaufen.
    Wahrzeichen von Pellworm ist die Alte Kirche. Sie war die Hauptkirche von Alt-Nordstrand. Der gotische Turm, in den mittlerweile Turmfalken einzogen, ist eine Ruine, verwittert und verfallen. Indes nicht als Opfer von Sturm. 1611 bereits stürzte er infolge seiner Baufälligkeit ein. Die Orgel im rund tausend Jahre alten Kirchenschiff, errichtet auf Sandstein nahe dem Seedeich, schuf 1711 Arp Schnitger. Es ist das einzige Werk des berühmten Barock-Orgelbauers auf einer nordfriesischen Insel. Organisten aus ganz Europa reisen an, um die Klangfülle in sich aufzunehmen. Die Pellwormer Sommer-Orgelkonzerte schreiben seit vielen Jahren Kirchenmusikgeschichte. Immer wieder auch spielt Matthias Janz, Kirchenmusikdirektor und Kantor von St. Marien in Flensburg, »in schönsten Tonfarben« auf der Pellwormer Orgel Dieterich Buxtehude, Melchior Franck oder Johann Sebastian Bach. Die nur mit Kerzen beleuchtete Backsteinkirche ist dann stets Wochen vorher ausverkauft.
    Herausragende Zeitzeugin der Inselhistorie, die wie die Alte Kirche allen Nordseeangriffen widerstand, ist die Nordermühle. Seit 1652 drehen sich ihre weiten wolkenweißen Flügel. Vor einigen Jahren landete der Galerieholländer auf dem Immobilienmarkt. Sofort hatten wir uns zur Besichtigung nach Pellworm aufgemacht. Im Kopf einen stillen Traum von Atelier und Wohnen und Schreibwerkstatt … Doch unser Vermögen reichte erwartungsgemäß nicht aus. Inzwischen fand die Mühle neue Eigentümer. Sie richteten Ferienwohnungen unterm Gebälk ein. Aus den seeseitigen Fenstern reicht der Blick in die Unendlichkeit.
    Maler zog es auf die ruhige bäuerliche Insel mit ihren ehrwürdigen Vierkanthöfen und überdurchschnittlich vielen Sonnenstunden kaum. Und so fehlen denn in der Pellwormer Chronik berühmte Künstlernamen. 1923 indes reiste Hans Leip aus Hamburg an. Der Sohn eines Schauermanns, Texter des Welthits »Lili Marleen«, malte auch. Auf Pellworm schuf er zarte Aquarelle von Warften »bei beginnendem Regen« oder »nach dem Regen« oder »bei Ebbe und auffrischendem Ostwind«. Mit nassem Pinsel fing er das vibrierende Sommerlicht ein, hielt er Marschwiesen fest, grünbraun von Prielen durchtränkt.
    In vergleichbarer Mission, wiewohl auf die Menschen der Insel konzentriert, entdeckte 1970 Ulrich Mack Pellworm. Der damalige Bildreporter vom stern hatte bei Alfred Mahlau, dem Erfinder des Logos von Lübecker Marzipan, an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg studiert. Pellworms Panorama brachte den Fotokünstler außer Rand und Band. Über vierzehn Tage harrte er mit Großbildkamera und Stativ an ein und derselben Stelle aus, wartend auf passendes Licht, auf sprechende Schatten. Viele Pellwormer schüttelten den Kopf, meinten, fotografieren könne dieser Mann nicht, aber er sei hartnäckig. Dass Ulrich Mack um jene Zeit schon den World Press Award in der Tasche hatte und dazu etliches »Gold« vom Art Directors Club, wussten sie nicht. Woher auch? Lebte man doch auf der Insel weit weg von der Festlandzivilisation mit all ihrem Pipapo, kam man beispielsweise ohne Straßennamen aus, hießen die Adressen schlicht Großer Koog Nummer soundso. Und jeder auf Pellworm sprach Platt, wie es bis heute weithin der Fall ist. Dieses Unverstellte faszinierte Ulrich Mack, sodass er immer wieder kam. Nach einer Weile gelang es ihm, das Vertrauen der Pellwormer zu gewinnen, ließen sich Schiffer, Bäuerinnen und Bauern, Sattler, Hausschlachter, Schuhmacher von ihm porträtieren. »Auf vielen Gesichtern zeigt sich ein freundlicher Vorbehalt«, beobachtete Siegfried Lenz, der Ulrich Mack bei seiner
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