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Lesereise New York

Lesereise New York

Titel: Lesereise New York
Autoren: Sebastian Noll
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Sicherheit immer dabeihat, wenn er durch Harlem läuft, wurde bei ihm jedoch nichts gefunden. Keine Drogen, keine Waffen, kein Diebesgut.
    Brown hat einen Collegeabschluss und arbeitet als Computertechniker im Arbeitsamt. Seine Mutter ist Krankenschwester. Er ist ein ordentlicher, braver junger Mann. Und doch musste er drei Gerichtsvorladungen durchstehen, bis man ihn endlich entlastete. »Ich konnte wochenlang nicht schlafen«, sagt er. »Ich habe gedacht, meine berufliche Zukunft ist vorbei, wenn ich jetzt eine Vorstrafe aufgebrummt bekomme.«
    Für Browns Pflichtverteidiger Steve Wassermann, der jetzt auf Entschädigung klagt, ist klar, dass sein Mandant Opfer der mittlerweile berüchtigten »Stop and Frisk«-Strategie der New Yorker Polizei ist. Bürgermeister Giuliani hat einst diese Taktik eingeführt, um gefährliche Bezirke wie Teile von Harlem und der Bronx zu befrieden. Die Klein- und Großkriminellen sollten sich niemals sicher sein können, dass sie nicht jederzeit angehalten und durchsucht werden.
    Doch die Taktik, darüber sind sich Bürgerrechtler und Anwälte wie Wasserman einig, schießt schon lange über das Ziel hinaus. 2011 wurden 685.724 Personen in New York angehalten und durchsucht. In achtundachtzig Prozent der Fälle gab es keinen Anlass für eine Verhaftung oder eine Anklage. Nur in zwei Prozent der Fälle wurden Drogen oder Waffen gefunden. Vierundachtzig Prozent der Durchsuchten waren Schwarze oder Latinos. »Stop and Frisk« ist unübersehbar Symptom des gleichen unausrottbaren Rassismus, dem auch Trayvon Martin zum Opfer gefallen ist.
    Die Schwarzen und die Latinos New Yorks erdulden seit Jahren still die »Stop and Frisk«-Schikane der New Yorker Polizei. Doch im Frühjahr 2012 haben sie endgültig genug. Im Februar wird in der Bronx der achtzehn Jahre alte Ramarley Graham von der Polizei erschossen. Graham war ohne begründeten Verdacht von Polizisten angehalten worden. Er lief davon, weil er eine geringe Menge Marihuana bei sich trug. Die Polizisten folgten ihm bis in seine Wohnung, traten die Tür ein und feuerten mehrere Schüsse in seine Brust. Wie Trayvon Martin war Ramarley Graham unbewaffnet.
    Der Vorfall löst eine Massendemonstration aus, bei der die Eltern von Ramarley Graham und von Trayvon Martin Arm in Arm die Fifth Avenue hinaufmarschieren. Auf den Schildern der Demonstranten ist die Parole zu lesen: »Hautfarbe ist kein begründeter Verdacht«.
    In einem flammenden Editorial ruft im Juni sogar die New York Times den Polizeichef Ray Kelly auf, diese offensichtlich rassistische Praxis zu beenden. Prominente schwarze Bürgerrechtler sprechen davon, dass schwarze Viertel wie Harlem systematisch terrorisiert werden. Die Soziologin Elizabeth Alexander sagt sogar, dass »Stop and Frisk« Symptom eines »neuen Kastensystems« ist, mit dessen Hilfe ein Großteil der schwarzen Bevölkerung dauerhaft von der Teilhabe an der amerikanischen Gesellschaft ausgeschlossen wird. Nicht jeder junge Mann wird so gut vertreten wie Aaron Brown, viele geben dem Stress der Verhöre nach und nehmen eine Vorstrafe hin, nur um in Ruhe gelassen zu werden. Mit verheerenden Folgen für ihre Zukunft.
    Die junge Harlemer Journalistin Sharifa Rhodes-Pitts sieht in »Stop and Frisk« in Harlem vor allem ein Brachialinstrument der Gentrifizierung. »Die Polizeipräsenz wächst in direkter Proportion zur Zahl der Luxuswohnungen«, sagt sie, als ich sie im Frühsommer 2012 in einem der schicken neuen Cafés an der Lenox Avenue treffe.
    Die siebenundzwanzig Jahre alte Rhodes-Pitts, deren bohrender Blick so scharf ist wie ihr Verstand, ist in Texas aufgewachsen. Sie kam nach Harlem, weil sie es ihren Idolen gleichtun wollte, den schwarzen Schriftstellern Langston Hughes und Ralph Ellison, die wie sie aus dem Süden kamen und hier in Harlem einen kreativen Nährboden fanden, ein Umfeld für schwarze Intellektuelle wie kein zweites in den USA .
    Doch was sie fand war kein gelobtes Land für Afroamerikaner, kein Fluchtpunkt wie das Paris der dreißiger Jahre für amerikanische Exilschriftsteller. Vielmehr fand sie ein hart umkämpftes, von Spannungen zerrissenes Terrain. »In Harlem spielt sich das ganze Drama eines Bevölkerungsteils ab, der nie ein vollwertiger Teil der Gesellschaft sein durfte.«
    Der Titel ihres Buches »Harlem is Nowhere« ist ein Zitat ihres Idols Ralph Ellison, der in seinem Schlüsselroman »Invisible Man« eine ähnliche Reise beschrieb wie die, die auch Sharifa hinter sich hat. Es ist
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