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Lesereise Malediven

Lesereise Malediven

Titel: Lesereise Malediven
Autoren: Stefanie Bisping
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praktiziert er täglich Yoga. Irgendwann verließ ihn der Spaß an seinem erlernten Beruf, er sattelte um und ließ sich zum Yoga-Lehrer ausbilden. Nun schart er um sieben Uhr morgens, wenn das Licht noch silbrig ist und das Meer von der Sonne unbeschienen stahlblau unter hellem Himmel liegt, eine knappe Handvoll Urlauber zum Wasser-Yoga um sich. Wenn überhaupt. »Es ist für viele schwierig, sich morgens aus dem Bett zu quälen«, weiß er. Es macht ihm nichts. Er bittet die nach Erleuchtung strebenden Gäste in den Pool und legt los. Im Lotussitz nehmen sie auf den Stufen des Pools Platz und atmen drei Mal lange aus: »Ommmm.« »Im Wasser geht vieles leichter, da kämpfen wir nicht gegen die Schwerkraft«, sagt er. Dennoch: Wahres Yoga findet im Trockenen statt. Deshalb gibt er auch auf der Matte Unterricht, vor dem Frühstück oder zur magischen Stunde des Sonnenuntergangs (wenn andere Gäste schon glücklich über ihren Cocktails sitzen).
    Fast das gesamte Resort bekehrte Rajanish zum Yoga, als er einen einwöchigen Workshop für die Kollegen anbot. »Ein paar habe ich verloren, wegen des frühen Aufstehens«, sagt er und lächelt. Er weiß, auch dies ist allzu menschlich. Die Arbeitstage sind lang, und die Übungseinheiten fürs Personal fanden bereits vor dem morgendlichen Wasser-Yoga der Gäste statt. Doch die große Mehrheit der Kollegen sinkt nun regelmäßig auf die Matte. Das Leben auf der kleinen Insel, auf der die Angestellten aus Platz- wie aus Zeitgründen extrem wenig Privatsphäre haben, dafür aber besonders anstrengende Jobs, lieferte viele gute Argumente für Entspannung durch Yoga.
    Die Gäste wollen die Gelegenheit nutzen, ihren geistigen Zustand in Einklang mit der beruhigenden Schönheit der Landschaft ringsum zu bringen. Man könnte ja auch annehmen, dass der Ausblick von dem überdachten, an zwei Seiten offenen Pavillon, der auf Stelzen über dem Wasser thront, Inspiration genug ist für einen schwerelosen Sonnengruß. Doch dies ist nicht der Fall: Auf Gelenkigkeit und Elastizität des Einzelnen wirkt sich auch der herrlichste Blick auf den Indischen Ozean nicht aus. Hinzu kommt, dass Rajanish den Gästen nichts schenkt. »And stretch – as far as«, sagt er immer wieder mit ruhiger, bestimmter Stimme. Das »possible« spart er sich. Jeder weiß: So weit es geht, muss der Fuß in die Luft, das Bein hinter den Kopf, das Knie auf den Boden. Wer es nicht weiß, dem zeigt er es und drückt sanft eine widerspenstige Schulter zu Boden. Ächzt der Gast nun vernehmlich, hört er ein ermunterndes »You can do it.« Längst ist klar: Rajanish hat sich nicht auf ein maledivisches Paradiesinselchen zurückgezogen, um sich oder anderen das Leben leicht zu machen. Eigentlich wiederhole man den Sonnengruß hundertacht Mal, erklärt er mir, als ich bereits nach dem achten zu transpirieren beginne. Noch bevor ich mich erkundigen kann: »Im Jahr?«, fällt mir eine klügere Frage ein: »Aber so schnell?« – »Das ist nicht schnell«, sagt Rajanish, an dessen Schläfe nicht ein Tröpfchen Schweiß perlt, wiewohl er keine Übung auslässt. »Das ist der Rhythmus des Atems. Einfach atmen, ruhig und gleichmäßig. Dann sind Sie mit allem im Reinen.«
    Die Weitgereiste
    Tanya saust mit dem weißen Elektrowägelchen umher und transportiert Gäste. Vor allem russische Gäste. Tanya stammt aus der Ukraine und gehört daher zu dem relativ übersichtlichen Kreis von Hotelfachkräften, zu deren umfangreichen Sprachkenntnissen auch perfektes Russisch gehört. Zwar sprechen die russischen Gäste nicht schlechter Englisch als andere, doch freuen sie sich besonders, in ihrer Muttersprache begrüßt und unterhalten zu werden. Und auch Tanya liebt ihren Job. Der Fünfundzwanzigjährigen wurde es nicht an ihrer Wiege gesungen, dass sie einstmals ein Tropenparadies ihr Zuhause nennen würde – wiewohl mit dem Begriff »Zuhause« in der Tourismusindustrie nicht notwendigerweise eine lange Verweildauer am aktuellen Ort einhergeht. Denn ihre Wiege stand in Kiew, und es war das Jahr, in dem die Ukraine mit einer atomaren Katastrophe in der ganzen Welt die Schlagzeilen beherrschte.
    Seitdem hat Tanya mehrere Kontinente durchmessen. Hotelkarrieren führen nicht nur weit herum, sondern auch schnell. Vor allem, wenn man sprachgewandt ist. Ein Jahr als Au-Pair-Mädchen in München brachte Tanya neben einem leichten Kulturschock solide Deutschkenntnisse ein. Später studierte sie auf Zypern Tourismusmanagement, bevor sie in großen
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