Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lesereise Malediven

Lesereise Malediven

Titel: Lesereise Malediven
Autoren: Stefanie Bisping
Vom Netzwerk:
Mal verteidigt sie sich, als er brüllt, sie habe versäumt, ihm ein Getränk zu bestellen, mal versucht sie abzuwiegeln. Er buchstabiert sich durch die Bild-Zeitung , um zwischendurch gut gelaunt herumzuschreien und sich über den Service an Bord zu beschweren. »Ich bin im Urlaub!«, brüllt er. »Ich will mich nicht ärgern!« Man möchte seiner Frau zur Scheidung gleich auf den Inseln raten, schließlich ist die in dem muslimischen Land formlos möglich und schnell erledigt. Doch bald ist festzustellen, dass das Paar einen in dreißig Jahren eingespielten Umgang miteinander pflegt, den womöglich keiner der beiden missen möchte. Schön, dass sie von Mal é aus noch weiter fliegen, bis nach Gan im Addu-Atoll. Weiter südlich liegt nur noch sehr viel Wasser und schließlich die Antarktis. Jenseits des Hotels Equator Village wird kaum jemand das Gebrüll des Cholerikers aus Deutschland hören.
    Zum Glück ist der hässliche Deutsche kein häufiger Gast auf den Malediven. Im internationalen Kreis von Russen, Engländern, Chinesen, Japanern und Italienern gebärden sich die Deutschen nicht auffälliger als andere. Malediven-Urlauber sind unabhängig von der Staatsangehörigkeit Menschen, die keine Angst vorm Alleinsein mit Sozialpartner oder Familie haben. Sie können Ruhe aushalten und auch süßes Nichtstun ertragen. Zumindest wenn es nach ein, zwei Tagen gelungen ist, die Adrenalinzufuhr auf ein Maß abzusenken, das den tropischen Temperaturen entspricht. Bis dahin lesen manche noch beim Frühstück im Schatten einer Palme auf dem iPad ihre E-Mails und die Zeitung. Oder stürzen sich aufs Laufband. Die freie Zeit nutzen. Genießen, genießen, genießen. Dann sinkt der Puls, die Akklimatisierung ist geschafft. Die Gäste blinzeln in die Sonne, drehen sich ab und zu um, buddeln mit ihren Kindern und lassen sich zwischendurch ins Wasser fallen. Allenfalls ein paar kleinere Eigenheiten der Badegäste mögen hier und dort mit der Staatsbürgerschaft korrelieren. Die Spanier erscheinen erst zum Dinner, wenn das Restaurant längst verlassen liegt und das Personal gerade beginnen möchte, fürs Frühstück einzudecken. Wird das serviert, bestellen die Amerikaner Pfannkuchen mit Sirup, während die Italiener sich die Sonnenbrillen auf den Hinterkopf schieben und interessiert die eigentümlichen britischen Frühstücksgewohnheiten am Nachbartisch mit befremdetem Interesse beobachten, ganz so, als beobachteten sie exotische Insekten bei der Fortpflanzung.
    »Wir sind Russen, uns kann nichts schockieren!«, ruft die Urlauberin aus Moskau, als besorgtes Personal sie vor dem Ausflug zum nächtlichen Angeln fragt, ob sie denn auch seefest sei. Das ausgelassene russische Paar lässt vom Ausflug auf die Robinson-Insel bis zur Dolphin Cruise keine Lustbarkeit aus. Er lacht freundlich aus schiefem Gesicht, und es wäre zu schön zu wissen, wo – und wie – er wohl sein beträchtliches Vermögen gemacht hat (und bei welcher Gelegenheit seine Nase ihre heutige Gestalt erhielt). Sie – schlank, schön, mit dick geflochtenem blonden Zopf – erzählt von der gemeinsamen Residenz in der Hauptstadt und dem Landhaus vor den Toren Moskaus, vom Leben in der Kapitale und der zehnjährigen Tochter, die sich daheim unter der Obhut der Nanny befindet. Seefest sind sie tatsächlich alle beide. Und schrecken kann dieses Paar auch nur wenig. Man sieht, diese beiden sind es gewohnt, jede Herausforderung anzupacken, die ihnen das Leben vor die Füße wirft. Trotzdem verfinstert sich seine Miene, als er an den verschiedenen Angelplätzen, an denen das Boot heute Abend ankert, immer wieder routiniert die Angelschnur auswirft – aber nichts anbeißt. Die Crew zieht derweil einen Snapper nach dem anderen aus dem Wasser. Die beiden zanken ein wenig, rauchen viel und werfen ihre Leinen aufs Neue aus. »Ich sage ja immer, dass es an mir liegen muss«, erklärt schließlich die schöne Russin. »Wohin wir auch reisen, mein Mann hat nie Glück beim Fischen.« Weilt die Familie aber in ihrem Landhaus, geht er alleine angeln und kommt stets mit einem Eimer voller Fische zurück. Er zuckt die Achseln, streift die Enttäuschung ab, beginnt mit dem Kapitän ein Gespräch. Die Snapper zucken zusammen und schwimmen schnell davon.
    Auch Gäste aus anderen Teilen der Welt kennen keine Angst – und sind nicht selten gerade deshalb besonders gefürchtet. Urlauber aus China sind dafür bekannt, bei Schnorchelausflügen unerschrocken und in voller Ausrüstung ins
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher