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Lesereise - Jakobsweg

Lesereise - Jakobsweg

Titel: Lesereise - Jakobsweg
Autoren: René Freund
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Nagern geschützt ist. Manche dieser eigenartigen Bauwerke sind einige Hundert Jahre alt und kunstgeschichtliche Kostbarkeiten.
    Bereits aus der Ferne erkennen wir Portomarín, das Ziel unserer heutigen Etappe. Der Ort wirkt so künstlich wie sein Name. Von »Porto« merkt man nicht viel, von »Marin« gar nichts. Nicht mehr jedenfalls. Wenn man auf der neuen Brücke über den Rio Miño geht, dann sieht man ganz unten noch die alte Römerbrücke und die Reste des alten Ortes. Bei Hochwasser verschwindet das alte Portomarín völlig: 1962 musste die Stadt aus dem 10. Jahrhundert einem Stausee weichen. Sie wurde kurzerhand abgetragen und auf der Anhöhe rekonstruiert. Jeder Stein der romanischen Kirche San Nicolás trägt noch die Nummer, die es erlaubte, das alte Gemäuer ab- und dann weiter oben wieder aufzubauen. Hier spielte man Lego in großem Stil. Irgendwo müssen dabei die Kirchenglocken auf der Strecke geblieben sein, denn heute werden die Bewohner von Portomarín per Barockmusik aus Lautsprechern in die Messe gerufen.
    Im refugio ist – für die Saison – einiges los: Zwei brasilianische Radpilger sind da, die, wie alle Brasilianer bis jetzt, leugnen, wegen Paolo Coelho den Weg zu gehen, den sie einen ganz miserablen Schriftsteller nennen. (»Ich habe ihn nie gelesen, und ich werde ihn auch nie lesen«, sagen alle Brasilianer, die wir trafen, und das waren nicht wenige. Bei näherem Nachfragen stellte sich aber immer heraus, dass jeder Einzelne von ihnen den Jakobsweg deshalb kannte, weil Coelho das Buch darüber geschrieben hatte.) Weiters im refugio: zwei Schweizer, die seit Genf unterwegs sind, sowie ein französischer Schauspieler, der auf dem Jakobsweg über seine Scheidung und seine berufliche Zukunft nachdenkt. Vor einem Jahr, erzählt Alain, war er mit einer Theaterkompanie mit einem Stück über den Jakobsweg auf Tournee. Irgendwann habe sich die Gruppe aufgelöst – und er habe sich auf den Weg gemacht, ganz ohne Theater.
Palas do Rei, 13. November
    Heute ist Freitag, der 13. Beim Frühstück im refugio taucht wie zum Hohn plötzlich eine schwarze Katze auf. Aber wie sagte einst ein kluger Mann: Man soll nicht zu abergläubisch sein, denn das bringt Unglück.
    Es regnet heute in Strömen, dazu weht ein bissiger Wind. Wir machen uns als Letzte auf den Weg, weil wir doch noch hoffen, das Wetter würde besser werden. Wird es aber nicht. Die Etappe kommt uns besonders lang vor, obwohl es nur 24 Kilometer sind, die wir zurückzulegen haben. Der »Countdown« nach Santiago bremst uns ziemlich ein. Alle fünfhundert Meter werden wir durch einen Kilometerstein darauf aufmerksam gemacht, wie lange es dauert, fünfhundert Meter zu überwinden.
    Die Landschaft wird nun immer offener, verliert aber auch an Reiz. Pinien- und Eukalyptuskulturen dominieren. Unsere Mittagspause machen wir am Rande der Landstraße in der Plastikhütte einer Autobusstation – das ist zwar nicht sehr romantisch, aber wir sind gegen den Wind geschützt.
    Der Name Palas do Rei klingt beeindruckender, als der Ort ist. Im 7. oder 8. Jahrhundert soll sich hier der Palast eines Wisigoten-Königs befunden haben. Palast finden wir keinen. Aber das refugio ist auch nicht schlecht.
Arzúa, 14. November
    Langsam merkt man, dass wir uns einer großen Stadt nähern. Die Orte werden häufiger, die Häuser sind mühelos als Zweithäuser zu erkennen, das Land scheint weniger ländlich zu sein.
    Wir haben heute Glück mit dem Restaurant (namens »Venus«) und essen gut. Vor allem der pulpo , die Riesenkrake, die die Galicier geradezu kultisch, vor allem aber kulinarisch verehren, schmeckt ganz hervorragend. Jetzt sind wir 38 Kilometer vom Ziel entfernt. Wir beginnen bei einem Glas Wein eine erste Bilanz zu ziehen; vorsichtig natürlich, denn es ist uns klar, dass wir immer noch scheitern können … Ein unbedachter Schritt, ein Ausrutschen – und die Reise könnte beendet sein. Vieles, das ist uns klar, hätten wir uns erleichtern können: Ich bin erst vor einer Woche auf die Idee gekommen, mir für die Nächte Ohrenstöpsel zu kaufen – seitdem können fünf Schnarcher neben mir liegen, und es ist mir egal. Barbara ist erst vor zwei Tagen draufgekommen, die Riemen ihres Rucksacks zu verstellen. Jetzt trägt sie das Gewicht weiter oben, und ihre Hüftschmerzen haben sofort aufgehört. Wir lassen die Stationen Revue passieren: wie weit Le Puy entfernt ist …, welche Krisen wir hatten …, wie viel es in Frankreich geregnet hat …, wie oft wir
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