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Lesereise - Jakobsweg

Lesereise - Jakobsweg

Titel: Lesereise - Jakobsweg
Autoren: René Freund
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teilzunehmen, so bekommt Ihr eine kleine Ahnung vom Klosterleben. Ferdinand Soler de Boulogne (Paris/Francia).«
    Soweit die frei übersetzten Anmerkungen unseres alten Bekannten Ferdinand, den wir im refugio von Nájera kennengelernt hatten und der den Pilgerweg gerade in der verkehrten Richtung absolviert. Diesen Anmerkungen ist, was die Schönheit des Weges und die Seriosität der Pilgerführer betrifft, nichts hinzuzufügen. Das Benediktinerkloster San Julián von Samos ist absolut imposant. Wie so oft in Spanien, findet man darin alle Stile wieder: Romanik, Gotik, Klassik, Barock. Besonders bemerkenswert finden wir den Springbrunnen im Innenhof des gotischen Klosterteils: Die Brüste der nackten Damen, die mit ihren zarten Armen die obere Schale des Brunnens halten, sind von einem ausufernden Naturalismus, den wir in einem Kloster eigentlich nicht erwartet hätten.
    Auch damit hatte Ferdinand recht: Es lohnt, an den Offizien der Mönche teilzunehmen. 13 Benediktiner leben nur noch hier in diesem riesigen Gebäude, und davon sind nur zwei jung. Es hat etwas Ergreifendes, wenn diese paar Männer in ihren dunklen Kutten zur Vesper die gregorianischen Choräle intonieren. Wenn man bedenkt, dass sie das täglich zweimal machen, mit dieser Innigkeit, aber auch mit dieser strengen Regelmäßigkeit, dann möchte man ihnen direkt danken dafür, dass sie diesen sozusagen »professionellen« Kontakt nach oben aufrechterhalten.
    Das refugio des Klosters ist groß, aber spartanisch. Gegenüber gibt es eine kleine méson, in der deftige galicische Spezialitäten serviert werden, zum Beispiel caldo gallego, eine Suppe aus Schweinefleisch mit Bohnen und Kohl, oder cachola, eine Art Eintopf aus borstigen Schweinekopf-Schwarten. Das muss man mögen, um es genießen zu können.
Portomarín, 12. November
    Der Weg von Samos über Sarria nach Portomarín ist über dreißig Kilometer lang, aber, wie versprochen, sehr schön. Die Sonne scheint ganz ungalicisch vom blauen Himmel. Die Landschaft wirkt ganz und gar nicht spanisch, sondern immer mehr irisch, schottisch oder bretonisch. Plötzlich scheint Santiago schrecklich weit entfernt zu sein – obwohl wir heute den Stein mit der »100-Kilometer«-Marke überschritten haben. Es ist uns ganz unvorstellbar, dass wir auch schon 1500 Kilometer von Santiago entfernt waren. Und noch unvorstellbarer, dass wir in drei Tagen dort sein sollen.
    Man bemerkt die vielen Anstrengungen, die von der galicischen Xunta, aber auch von privater Hand unternommen werden, um dem Pilger-Boom gerecht zu werden. (Es heißt wirklich »Xunta« statt »Junta«, denn die Galicier machen einem gerne ein X für ein J vor. Und beides spricht man aus, wie im Tirolerischen das ck.) In vielen winzigen Orten (zum Beispiel in Barbadelo oder in Ferreiros) wurden neue refugios gebaut, die alles bieten, was das Pilgerherz begehrt. Auffallend ist auch, dass manche Bauern ihre am Wegrand gelegenen ehemaligen Scheunen kurzerhand in Bars umbauen. In einer solchen Bar kehren wir auch zu unserem Nachmittagskaffee ein. Es ist nicht zu übersehen, dass der Barbesitzer aus einer anderen Branche stammt: Er fragt uns bis ins Detail, wie wir unseren Kaffee gern hätten (Groß? Wie groß genau? Welche Tassen? Wie viel Milch? Wie viele Stück Zucker?), um dann beim aufgeregten Hantieren mit der nagelneuen Espressomaschine doch alles anders zu machen. Er lässt den Kaffee viel zu lange laufen und schafft es, die Milch so daraufzuschütten, dass der ganze Schaum (bekanntlich der einzige Grund, aus dem man Kaffee mit Milch trinkt) in dem Metallbehälter bleibt. Mit zittrigen Händen, aber sichtlich zufrieden, stellt er uns den Kaffee hin. Aber es ist schön zu sehen, dass es einem hier anscheinend nicht sehr schwer gemacht wird, Initiativen zu ergreifen. Bei uns darf man ja ohne entsprechende Konzession einem Durstigen gar nichts zu trinken verkaufen.
    Man geht viel durch Wasser in Galicien. Die Galicier verehren, wie alle Kelten, die Quellen und Bächlein, und so haben sie im Laufe der Jahrtausende das ganze Land mit kunstvollen Bewässerungskanälen durchzogen, den regos und den corredoiras. Diese Quellwasseradern laufen oft über die Fuhrwege, neben denen dann Gehsteige aus Schieferstein gebaut wurden.
    Auch einer anderen galicischen Besonderheit begegnen wir heute auf Schritt und Tritt: den horreos. Das sind gemauerte Getreidespeicher, die auf vier Säulen stehen, damit die Ernte (meistens Mais) vor der Feuchtigkeit des Bodens und vor
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