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Leopard

Leopard

Titel: Leopard
Autoren: Jo Nesbø
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Schweißfüßen stank, dass es sonst niemand neben ihm ausgehalten hat.«
    »Ja«, sagte Harry. »Außer uns.«
    »Das haben wir geschafft«, sagte Øystein. »Aber, Mann, ey, hat das gestunken.«
    Sie lachten zusammen. Weich, leicht. Und traurig.
     
    Øystein hatte den Wagen auf dem braunen Gras geparkt und die Türen geöffnet. Harry kletterte auf die Bunkerdecke und setzte sich mit baumelnden Beinen ganz vorne an den Rand. Aus den Lautsprechern in den Autotüren sang Springsteen von Blutsbrüdern, einer Winternacht und einem Versprechen, das gehalten werden musste.
    Øystein reichte Harry die Jim-Beam-Flasche. Eine einsame Sirene drang leise auf- und absteigend aus der Stadt zu ihnen empor, bis sie kraftlos verstummte. Das Gift brannte in Harrys Hals und Magen, und er erbrach sich. Der zweite Schluck ging schon besser, und der dritte schmeckte richtig gut.
    Max Weinberg hörte sich an, als versuchte er, seine Trommeln zu zertrümmern.
    »Ich denke ziemlich oft, dass ich mir eigentlich wünschen sollte, mehr zu bereuen «, sagte Øystein. »Aber nicht mal das tue ich. Ich glaube, ich habe von Anfang an irgendwie akzeptiert, dass ich ein verdammter Nichtsnutz bin. Und du?«
    Harry dachte nach. »Ich bereue das total. Aber vermutlich nur, weil ich eine zu hohe Meinung von mir selbst habe. Ich bilde mir tatsächlich ein, dass ich mich anders hätte entscheiden können.«
    »Aber das konntest du nicht, echt nicht.«
    »Damals nicht. Aber beim nächsten Mal, Øystein. Beim nächsten Mal.«
    »Ist das jemals vorgekommen, Harry? Jemals in der beschissenen Geschichte der Menschheit?«
    »Dass etwas nicht geschehen ist, heißt nicht, dass es nicht noch geschehen kann. Woher weiß ich denn, dass diese Flasche hier auf den Boden knallt, wenn ich sie loslasse? Verdammt, welcher Philosoph hat denn da wieder durch mich gesprochen? Hobbes? Hume? Heidegger? Auf jeden Fall einer dieser Verrückten mit H.«
    »Antworte mir.«
    Harry zuckte mit den Schultern. »Ich denke, es ist möglich zu lernen. Das Problem ist nur, dass wir so verdammt langsam lernen, dass es zu spät ist, wenn wir es kapiert haben. Zum Beispiel wenn jemand, den du gern hast, dich um einen Gefallen bittet, einen Liebesdienst. Zum Beispiel ihm beim Sterben zu helfen, und du sagst nein, weil du es nicht begriffen hast, weil du es noch nicht kapiert hast. Wenn es endlich in deinen Schädel geht, ist es zu spät.« Harry trank. Noch einen Schluck. »Stattdessen erweist du diesen Liebesdienst dann einem anderen, vielleicht sogar jemandem, den du hasst.«
    Øystein nahm ihm die Flasche ab. »Keine Ahnung, wovon du redest, hört sich aber wie eine abgefuckte, längst gegessene Scheiße an.«
    »Nicht unbedingt. Für gute Taten ist es doch eigentlich nie zu spät, oder?«
    »Du meinst wohl immer, oder?«
    »Nein! Ich war immer der Meinung, dass wir zu sehr hassen, um auf andere Impulse hören zu können. Mein Vater war da anderer Meinung. Er hat mir gesagt, Hass und Liebe seien zwei Seiten einer Medaille. Dass alles mit der Liebe beginnt und der Hass nur die Kehrseite davon ist.«
    »Amen.«
    »Aber das bedeutet dann doch wohl, dass man auch den anderen Weg einschlagen kann, vom Hass zur Liebe. Dass der Hass ein guter Ausgangspunkt ist, um zu lernen, um sich zu verändern und sich beim nächsten Mal anders zu verhalten.«
    »Du klingst so optimistisch, dass ich gleich das Kotzen kriege, Harry.«
    Die Orgel setzte beim Refrain ein, schneidend und schrill wie eine Kreissäge.
    Øystein legte den Kopf etwas zur Seite und schnippte die Asche von seiner Zigarette. Und Harry hätte am liebsten geheult. Ganz einfach, weil er in der Art, wie sein Freund die Asche von der Zigarette schnippte, all die Jahre sah, die ihre Leben ausmachten, die sie ausmachten, Øysteins zur Seite geneigter Oberkörper und Kopf, als wäre die Zigarette zu schwer und als gefiele ihm die Welt aus der schrägen Perspektive besser, egal ob er nun auf den Boden des Raucherschuppens in der Schule aschte, in eine leere Bierflasche auf einer Fete, die sie gecrasht hatten, oder auf den kalten, rohen Bunkerbeton.
    »Du wirst langsam alt, Harry.«
    »Warum sagst du das?«
    »Wenn Männer beginnen, ihre Väter zu zitieren, sind sie alt. Dann ist es zu spät.«
    In diesem Augenblick war sie plötzlich da. Die Antwort. Die Antwort auf die Frage, die sie ihm gestellt hatte. Nach seinem größten Wunsch. Ein Panzerherz.

EPILOG
     
    B lauschwarze Wolken schleppten sich über den höchsten Punkt Hongkongs, den
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