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Leopard

Leopard

Titel: Leopard
Autoren: Jo Nesbø
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Hand das Handy zurück in die Jackentasche gleiten ließ.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Das war das Krankenhaus«, sagte Harry, und sein Blick huschte an ihr vorbei, verschwand durch die großen Fenster hinaus zum Horizont aus Beton und verbranntem, hellblauem Himmel.
    »Er ist tot.«

TEIL X

KAPITEL 9 1
     
    Abschied
     
    E s regnete auf Olav Holes Beerdigung. Es waren etwa die Menschen gekommen, mit denen Harry gerechnet hatte; es war nicht so voll wie bei der Beerdigung seiner Mutter, aber auch nicht peinlich leer.
    Als alles vorbei war, standen Harry und Søs vor der Kirche und nahmen Beileidsbekundungen entgegen. Alte Verwandte, von denen sie nie etwas gehört hatten, alte Lehrerkollegen, die sie nie gesehen hatten, und alte Nachbarn, deren Namen sie möglicherweise schon einmal gehört hatten, deren Gesichter sie aber nicht kannten, schüttelten ihnen die Hände. Die Einzigen, die nicht aussahen, als wären sie als Nächstes an der Reihe, waren Harrys Polizeikollegen: Gunnar Hagen, Beate Lønn, Kaja Solness und Bjørn Holm. Øystein Eikeland sah definitiv so aus, als würde er bald auschecken, schob das aber auf einen schrecklichen Kater. Er grüßte Harry von Holzschuh, der nicht kommen konnte, ihm aber sein herzliches Beileid bekundete. Harry hielt nach den beiden Ausschau, die er in der letzten Reihe der Kapelle gesehen hatte, aber sie schienen bereits gegangen zu sein, bevor der Sarg aus der Kirche getragen worden war.
    Harry lud zu Smørrebrød und Bier ins Schrøders ein. Die wenigen, die kamen, hatten viel über das ungewöhnlich frühe Frühjahr zu sagen, aber wenig über Olav Hole. Harry trank seinen Apfelsaft aus, entschuldigte sich mit einem Termin und ging.
    Er rief sich ein Taxi und ließ sich zu einer Adresse am Holmenkollen fahren.
    Oben auf der Höhe lag noch etwas Schnee in den Gärten.
    Als Harry durch die Einfahrt auf das schwarzgebeizte Holz haus zuging, hämmerte sein Herz. Und noch fester schlug es, als er vor der vertrauten Tür stand, geklingelt hatte und die ebenso vertrauten Schritte hörte, die sich näherten.
    Sie sah aus, wie sie immer ausgesehen hatte. Und immer aussehen würde. Die dunklen Haare, die sanften braunen Augen, der schlanke Hals. Verdammt. Sie war so schön, dass es wehtat.
    »Harry«, sagte sie.
    »Rakel.«
    »Dein Gesicht. Ich habe es in der Kirche gesehen. Was ist passiert?«
    »Nichts. Die sagen, dass es wieder ganz in Ordnung kommt«, log er.
    »Komm rein, ich mach uns einen Kaffee.«
    Harry schüttelte den Kopf. »Mein Taxi wartet da unten auf mich. Ist Oleg hier?«
    »Oben in seinem Zimmer. Willst du ihn treffen?«
    »Ein andermal. Wie lange bleibt ihr?«
    »Drei Tage. Vielleicht vier oder fünf. Mal sehen.«
    »Dann würde ich euch gern an einem der nächsten Tage sehen. Passt das?«
    Sie nickte. »Ich weiß nicht, ob ich das Richtige getan habe.«
    Harry lächelte. »Nein, wer weiß das schon.«
    »In der Kirche, meine ich. Wir sind gegangen, bevor wir … Wir wollten nicht stören. Du musstest an andere Dinge denken. Außerdem sind wir ja wegen Olav gekommen. Du weißt ja, dass Olav und Oleg … Ja, sie haben irgendwie zueinandergefunden. Zwei reservierte Menschen. Das ist nicht selbstverständlich.«
    Harry nickte.
    »Oleg redet sehr viel über dich, Harry. Du bedeutest mehr für ihn, als dir vielleicht bewusst ist.« Sie blickte zu Boden. »Und mir. Vielleicht.«
    Harry räusperte sich. »Dann ist hier also alles unverändert, seit …«
    Rakel nickte schnell, damit er den Satz nicht zu Ende bringen musste. Seit der Schneemann versucht hatte, sie in diesem Haus umzubringen.
    Harry sah sie an. Er hatte sie nur sehen wollen, ihre Stimme hören, ihren Blick auf sich spüren. Er wollte sie nicht fragen. Noch einmal räusperte er sich. »Es gibt eine Sache, die ich dich gern fragen würde.«
    »Was denn?«
    »Können wir eine Minute in die Küche gehen?«
    Sie gingen ins Haus. Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Erklärte langsam und ausführlich. Sie hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen.
    »Er möchte, dass du ihn im Krankenhaus besuchst. Er will dich um Verzeihung bitten.«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Diese Frage musst du dir selbst beantworten, Rakel, ihm bleibt aber nicht mehr viel Zeit.«
    »Angeblich kann man mit dieser Krankheit ziemlich alt werden.«
    »Er hat nicht mehr lange«, wiederholte Harry. »Denk darüber nach, du brauchst mir jetzt keine Antwort zu geben.«
    Er wartete. Sah sie blinzeln. Sah, wie sich ihre Augen mit Tränen
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