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Leopard

Leopard

Titel: Leopard
Autoren: Jo Nesbø
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klang belegt.
    »Ziemlich viel«, sagte Harry.
    Kaja atmete schwer und versuchte, ihre Stimme zu kontrollieren. »Ist es wegen Rakel?«
    »Ja.«
    »Es war immer Rakel, nicht wahr?«
    »Ja, es ging immer um Rakel.«
    »Aber du hast doch selbst gesagt, dass sie dich nicht will.«
    »Sie will mich nicht so, wie ich jetzt bin. Also muss ich mich selbst reparieren, wieder heil werden. Verstehst du?«
    »Nein, das verstehe ich nicht.« Zwei winzige Tränen klammerten sich zitternd an die Wimpern ihrer unteren Augenlider. »Du bist doch heil. Die Narben sind doch nur …«
    »Du weißt ganz genau, dass es nicht diese Narben sind, von denen ich spreche.«
    »Werde ich dich jemals wiedersehen?«, fragte sie und fing mit dem Zeigefingernagel eine Träne auf.
    Sie nahm seine Hand und drückte sie so fest, dass ihre Fingerknöchel weiß wurden.
    Harry sah sie an. Dann ließ sie ihn los.
    »Ich werde dich nicht noch einmal zurückholen«, sagte sie.
    »Das weiß ich.«
    »Du wirst es nicht schaffen.«
    »Vermutlich nicht«, erwiderte er lächelnd. »Aber wer tut das schon?«
    Sie legte den Kopf zur Seite. Dann lächelte sie mit ihren spitzen Zähnen.
    »Ich«, sagte sie.
    Harry blieb sitzen, bis er draußen im Dunkel das leise Zuschlagen einer Autotür hörte, gefolgt von einem startenden Dieselmotor. Er starrte auf die Tischdecke und wollte sich gerade erheben, als sich ein Suppenteller in sein Blickfeld schob und der Oberkellner sagte:
    »Auf besonderen Wunsch Ihrer Begleitung, direkt aus Hongkong eingeflogen: Li Yuans Glasnudeln.«
    Harry starrte auf den Teller.
    Sie sitzt noch da, dachte er und stellte sich das Restaurant wie eine Seifenblase vor, die abhob, über der Stadt schwebte und verschwand. Mit einer Küche, die immer gefüllt war, so dass sie nie wieder landen mussten.
    Er stand auf, um zu gehen. Überlegte es sich anders und setzte sich wieder hin. Griff zu den Stäbchen.

KAPITEL 95
     
    Die Alliierten
     
    H arry ging von dem Tanzlokal, das kein Tanzlokal mehr war, über den Hang nach unten zur Seemannsschule, die keine Seemannsschule mehr war. Lief weiter in Richtung der Bunker, von denen aus sich die Eroberer des Landes verteidigt hatten. Unter ihm, verborgen im Nebel, lagen der Fjord und die Stadt. Die Autos tasteten sich mit gelben Katzenaugen vorsichtig vorwärts. Vor ihm hielt ein Auto, und Harry setzte sich auf den Beifahrersitz. Aus der Stereoanlage sickerte Katie Meluas honigtriefendes Leid, und Harry suchte verzweifelt nach dem Aus-Knopf. »Oh, verdammt, du siehst echt scheiße aus!«, sagte Øystein entsetzt. »Der Chirurg hat wirklich keinen guten Tag gehabt. Na, da brauchst du dir wenigstens keine Halloweenmaske mehr zu kaufen. Lach bloß nicht, sonst reißt deine Fratze nur wieder auf.«
    »Versprochen«, sagte Harry.
    »Apropos«, sagte Øystein. »Ich habe heute Geburtstag.«
    »Oh, verdammt. Gratuliere. Willst du ’ne Kippe? Schenk ich dir.«
    »Genau, was ich mir gewünscht hab.«
    »Hm. Keine anderen Wünsche? Keine größeren?«
    »Wie was?«
    »Weltfrieden.«
    »Wenn du aufwachst und es auf der ganzen Welt friedlich ist, bist du nicht wirklich aufgewacht, Harry. Dann ist die big one explodiert.«
    »Okay. Und auch keine privaten Wünsche?«
    »Keine besonderen. Ein neues Gewissen, vielleicht.«
    »Ein neues Gewissen?«
    »Das alte ist so schlecht. Schicker Anzug, übrigens. Ich dachte, du hättest nur einen.«
    »Der ist von Vater.«
    »Uih, bist du geschrumpft?«
    »Ja«, sagte Harry und rückte seinen Schlips zurecht. »Ich bin geschrumpft.«
    »Wie sieht’s da oben aus? Im Ekeberg-Restaurant?«
    Harry schloss die Augen. »Schön.«
    »Erinnerst du dich noch an die leckgeschlagene Bude, in die wir uns damals geschlichen haben? Wie alt waren wir da eigentlich? Sechzehn?«
    »Siebzehn.«
    »Hast du damals nicht mit der Killer Queen getanzt?«
    »Ein bisschen.«
    »Verrückt, dass die MILF s unserer Jugend jetzt im Altersheim sind.«
    » MILF s?«
    Øystein seufzte. »Schlag’s nach.«
    »Hm. Øystein?«
    »Ja.«
    »Warum sind wir eigentlich Freunde geworden?«
    »Tja, vermutlich weil wir nebeneinander aufgewachsen sind.«
    »Nur deshalb? Ein demographischer Zufall? Keine Seelenverwandtschaft?«
    »Nicht dass ich wüsste. Soweit ich weiß, hatten wir nur eine Sache gemeinsam.«
    »Und was?«
    »Dass sonst niemand mit uns befreundet sein wollte.«
    Sie fuhren schweigend um die nächste Kurve.
    »Wenn man mal von Holzschuh absieht«, sagte Harry.
    Øystein schnaubte. »Der so nach
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