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Leopard

Leopard

Titel: Leopard
Autoren: Jo Nesbø
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Welt friedlich ist, bist du nicht wirklich aufgewacht, Harry. Dann ist die
big one
explodiert.«
    »Okay. Und auch keine privaten Wünsche?«
    »Keine besonderen. Ein neues Gewissen, vielleicht.«
    »Ein
neues
Gewissen?«
    »Das alte ist so schlecht. Schicker Anzug, übrigens. Ich dachte, du hättest nur einen.«
    »Der ist von Vater.«
    »Uih, bist du geschrumpft?«
    »Ja«, sagte Harry und rückte seinen Schlips zurecht. »Ich bin geschrumpft.«
    »Wie sieht's da oben aus? Im Ekeberg-Restaurant?« Harry schloss die Augen. »Schön.«
    »Erinnerst du dich noch an die leckgeschlagene Bude, in die wir uns damals geschlichen haben? Wie alt waren wir da eigentlich? Sechzehn?«
    »Siebzehn.«
    »Hast du damals nicht mit der Killer Queen getanzt?«
    »Ein bisschen.«
    »Verrückt, dass die MILFs unserer Jugend jetzt im Altersheim sind.«
    »MILFs?«
    Oystein seufzte. »Schlag's nach.«
    »Hm. Oystein?«
    »Ja.«
    »Warum sind wir eigentlich Freunde geworden?«
    »Tja, vermutlich weil wir nebeneinander aufgewachsen sind.«
    »Nur deshalb? Ein demographischer Zufall? Keine Seelenverwandtschaft?«
    »Nicht dass ich wüsste. Soweit ich weiß, hatten wir nur eine Sache gemeinsam.«
    »Und was?«
    »Dass sonst niemand mit uns befreundet sein wollte.« Sie fuhren schweigend um die nächste Kurve. »Wenn man mal von Holzschuh absieht«, sagte Harry.
    Oystein schnaubte. »Der so nach Schweißfüßen stank, dass es sonst niemand neben ihm ausgehalten hat.«
    »Ja«, sagte Harry. »Außer uns.«
    »Das haben wir geschafft«, sagte Oystein. »Aber, Mann, ey, hat das gestunken.« Sie lachten zusammen. Weich, leicht. Und traurig.
    Oystein hatte den Wagen auf dem braunen Gras geparkt und die Türen geöffnet. Harry kletterte auf die Bunkerdecke und setzte sich mit baumelnden Beinen ganz vorne an den Rand. Aus den Lautsprechern in den Autotüren sang Springsteen von Blutsbrüdern, einer Winternacht und einem Versprechen, das gehalten werden musste. Oystein reichte Harry die Jim-Beam-Flasche. Eine einsame Sirene drang leise auf- und absteigend aus der Stadt zu ihnen empor, bis sie kraftlos verstummte. Das Gift brannte in Harrys Hals und Magen, und er erbrach sich. Der zweite Schluck ging schon besser, und der dritte schmeckte richtig gut.
    Max Weinberg hörte sich an, als versuchte er, seine Trommeln zu zertrümmern.
    »Ich denke ziemlich oft, dass ich mir eigentlich wünschen sollte, mehr zu
bereuen«,
sagte Oystein. »Aber nicht mal das tue ich. Ich glaube, ich habe von Anfang an irgendwie akzeptiert, dass ich ein verdammter Nichtsnutz bin. Und du?«
    Harry dachte nach. »Ich bereue das total. Aber vermutlich nur, weil ich eine zu hohe Meinung von mir selbst habe. Ich bilde mir tatsächlich ein, dass ich mich anders hätte entscheiden können.«
    »Aber das konntest du nicht, echt nicht.«
    »Damals nicht. Aber beim nächsten Mal, Oystein. Beim nächsten Mal.«
    »Ist das jemals vorgekommen, Harry? Jemals in der beschissenen Geschichte der Menschheit?«
    »Dass etwas nicht geschehen ist, heißt nicht, dass es nicht noch geschehen kann. Woher weiß ich denn, dass diese Flasche hier auf den Boden knallt, wenn ich sie loslasse? Verdammt, welcher Philosoph hat denn da wieder durch mich gesprochen? Hobbes? Hume? Heidegger? Auf jeden Fall einer dieser Verrückten mit H.«
    »Antworte mir.«
    Harry zuckte mit den Schultern. »Ich denke, es ist möglich zu lernen. Das Problem ist nur, dass wir so verdammt
langsam
lernen, dass es zu spät ist, wenn wir es kapiert haben. Zum Beispiel wenn jemand, den du gern hast, dich um einen Gefallen bittet, einen Liebesdienst. Zum Beispiel ihm beim Sterben zu helfen, und du sagst nein, weil du es nicht begriffen hast, weil du es noch nicht kapiert hast. Wenn es endlich in deinen Schädel geht, ist es zu spät.« Harry trank. Noch einen Schluck. »Stattdessen erweist du diesen Liebesdienst dann einem anderen, vielleicht sogar jemandem, den du hasst.«
    Oystein nahm ihm die Flasche ab. »Keine Ahnung, wovon du redest, hört sich aber wie eine abgefuckte, längst gegessene Scheiße an.«
    »Nicht unbedingt. Für gute Taten ist es doch eigentlich nie zu spät, oder?«
    »Du meinst wohl
immer,
oder?«
    »Nein! Ich war immer der Meinung, dass wir zu sehr hassen, um auf andere Impulse hören zu können. Mein Vater war da anderer Meinung. Er hat mir gesagt, Hass und Liebe seien zwei Seiten einer Medaille. Dass alles mit der Liebe beginnt und der Hass nur die Kehrseite davon ist.«
    »Amen.«
    »Aber das bedeutet dann
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