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Leopard

Leopard

Titel: Leopard
Autoren: Jo Nesbø
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Lene Galtung würde weiterhin vermisst gemeldet sein. Es gab weder ein Flugticket auf ihren Namen noch eine Registrierung bei der Einwanderungsbehörde des Kongo. Es war am besten so, würde Hagen sagen. Für alle Beteiligten. Auf jeden Fall für die, die zählten.
    Und die Frau mit den türkisen Augen würde nicken. Akzeptieren, was er sagte. Vielleicht aber trotzdem Bescheid wissen, vorausgesetzt, sie lauschte auch auf das, was er nicht sagte. Sie hatte die Wahl. Konnte sich für das Zuhören entscheiden, wenn er ihr vom Tod ihrer Tochter erzählte. Dass er genau zwischen Lenes Augen gezielt hatte, statt das zu tun, was er für richtig gehalten hatte. Etwas weiter nach rechts. Dass er aber hatte sichergehen wollen, dass die Kugel nicht so weit abdriftete, dass seine Kollegin, die vor Ort mit ihm zusammengearbeitet hatte, verletzt werden konnte. Es lag an ihr, sich für diese Wahrheit zu entscheiden oder für die Lüge, die die Schallwellen vor sich herschoben und die ihr kein Grab, aber einen Rest Hoffnung gaben.
    Sie wechselten das Flugzeug in Kampala.
    Saßen auf den harten Plastikstühlen vor dem Gate und starrten auf die Flugzeuge, die landeten und abhoben, bis Kaja einschlief und ihr Kopf an Harrys Schulter sackte.
    Sie wachte davon auf, dass irgendetwas anders war. Sie wusste nicht, was, nur dass sich etwas verändert hatte. Die Raumtemperatur. Der Rhythmus von Harrys Herzschlägen. Oder die Linien in seinem blassen, übernächtigten Gesicht. Sie sah, dass seine Hand das Handy zurück in die Jackentasche gleiten ließ.
    »Was ist?«, fragte sie.
    »Das war das Krankenhaus«, sagte Harry, und sein Blick huschte an ihr vorbei, verschwand durch die großen Fenster hinaus zum Horizont aus Beton und verbranntem, hellblauem Himmel.
    »Er ist tot.«

TEIL X

KAPITEL 91
    Abschied
    E s regnete auf Olav Holes Beerdigung. Es waren etwa die Menschen gekommen, mit denen Harry gerechnet hatte; es war nicht so voll wie bei der Beerdigung seiner Mutter, aber auch nicht peinlich leer. Als alles vorbei war, standen Harry und Sos vor der Kirche und nahmen Beileidsbekundungen entgegen. Alte Verwandte, von denen sie nie etwas gehört hatten, alte Lehrerkollegen, die sie nie gesehen hatten, und alte Nachbarn, deren Namen sie möglicherweise schon einmal gehört hatten, deren Gesichter sie aber nicht kannten, schüttelten ihnen die Hände. Die Einzigen, die nicht aussahen, als wären sie als Nächstes an der Reihe, waren Harrys Polizeikollegen: Gunnar Hagen, Beate Lonn, Kaja Solness und Björn Holm. 0ystein Eikeland sah definitiv so aus, als würde er bald auschecken, schob das aber auf einen schrecklichen Kater. Er grüßte Harry von Holzschuh, der nicht kommen konnte, ihm aber sein herzliches Beileid bekundete. Harry hielt nach den beiden Ausschau, die er in der letzten Reihe der Kapelle gesehen hatte, aber sie schienen bereits gegangen zu sein, bevor der Sarg aus der Kirche getragen worden war.
    Harry lud zu Smorrebrod und Bier ins Schröders ein. Die wenigen, die kamen, hatten viel über das ungewöhnlich frühe Frühjahr zu sagen, aber wenig über Olav Hole. Harry trank seinen Apfelsaft aus, entschuldigte sich mit einem Termin und ging.
    Er rief sich ein Taxi und ließ sich zu einer Adresse am Holmenkollen fahren.
    Oben auf der Höhe lag noch etwas Schnee in den Gärten.
    Als Harry durch die Einfahrt auf das schwarzgebeizte Holzhaus zuging, hämmerte sein Herz. Und noch fester schlug es, als er vor der vertrauten Tür stand, geklingelt hatte und die ebenso vertrauten Schritte hörte, die sich näherten.
    Sie sah aus, wie sie immer ausgesehen hatte. Und immer aussehen würde. Die dunklen Haare, die sanften braunen Augen, der schlanke Hals. Verdammt. Sie war so schön, dass es wehtat.
    »Harry«, sagte sie.
    »Rakel.«
    »Dein Gesicht. Ich habe es in der Kirche gesehen. Was ist passiert?«
    »Nichts. Die sagen, dass es wieder ganz in Ordnung kommt«, log er. »Komm rein, ich mach uns einen Kaffee.«
    Harry schüttelte den Kopf. »Mein Taxi wartet da unten auf mich. Ist Oleg hier?«
    »Oben in seinem Zimmer. Willst du ihn treffen?«
    »Ein andermal. Wie lange bleibt ihr?«
    »Drei Tage. Vielleicht vier oder fünf. Mal sehen.«
    »Dann würde ich euch gern an einem der nächsten Tage sehen. Passt das?« Sie nickte. »Ich weiß nicht, ob ich das Richtige getan habe.«
    Harry lächelte. »Nein, wer weiß das schon.«
    »In der Kirche, meine ich. Wir sind gegangen, bevor wir … Wir wollten nicht stören. Du musstest an andere Dinge
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