Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Leopard

Leopard

Titel: Leopard
Autoren: Jo Nesbø
Vom Netzwerk:
denken. Außerdem sind wir ja wegen Olav gekommen. Du weißt ja, dass Olav und Oleg … Ja, sie haben irgendwie zueinandergefunden. Zwei reservierte Menschen. Das ist nicht selbstverständlich.«
    Harry nickte.
    »Oleg redet sehr viel über dich, Harry. Du bedeutest mehr für ihn, als dir vielleicht bewusst ist.« Sie blickte zu Boden. »Und mir. Vielleicht.«
    Harry räusperte sich. »Dann ist hier also alles unverändert, seit…«
    Rakel nickte schnell, damit er den Satz nicht zu Ende bringen musste. Seit der Schneemann versucht hatte, sie in diesem Haus umzubringen.
    Harry sah sie an. Er hatte sie nur sehen wollen, ihre Stimme hören, ihren Blick auf sich spüren. Er wollte sie nicht fragen. Noch einmal räusperte er sich. »Es gibt eine Sache, die ich dich gern fragen würde.«
    »Was denn?«
    »Können wir eine Minute in die Küche gehen?«
    Sie gingen ins Haus. Er setzte sich ihr gegenüber an den Tisch. Erklärte langsam und ausführlich. Sie hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. »Er möchte, dass du ihn im Krankenhaus besuchst. Er will dich um Verzeihung bitten.«
    »Warum sollte ich das tun?«
    »Diese Frage musst du dir selbst beantworten, Rakel, ihm bleibt aber nicht mehr viel Zeit.«
    »Angeblich kann man mit dieser Krankheit ziemlich alt werden.«
    »Er hat nicht mehr lange«, wiederholte Harry. »Denk darüber nach, du brauchst mir jetzt keine Antwort zu geben.«
    Er wartete. Sah sie blinzeln. Sah, wie sich ihre Augen mit Tränen füllten, und hörte das fast lautlose Weinen. Sie atmete schluchzend ein.
    »Was würdest du tun, Harry?«
    »Ich würde es nicht machen. Aber ich bin ja auch ein schlechter Mensch.«
    Ihr Lachen mischte sich mit ihrem Weinen. Und Harry fragte sich, wie sehr man einen Laut vermissen konnte, eine bestimmte Schwingung der Luft. Wie lange konnte man sich nach einem Lachen sehnen?
    »Ich muss jetzt los«, sagte er.
    »Warum?«
    »Ich habe noch drei Verabredungen.«
    »Noch? Vor was?«
    »Ich ruf dich morgen an.«
    Harry stand auf. Aus dem ersten Stock hatte er Musik gehört.
Slayer. Slipknot.
Als er sich ins Taxi setzte und die nächste Adresse nannte, dachte er an ihre Frage. Vor was? Bevor er fertig war. Frei. Vielleicht. Es war eine kurze Fahrt.
    »Dieses Mal könnte es etwas länger dauern«, sagte er.
    Er holte tief Luft, öffnete das Gartentor und ging auf die Tür des Märchenschlosses zu. Ihm war, als beobachteten ihn zwei türkisfarbene Augen durch das Küchenfenster.
KAPITEL 92
    Freier Fall
    M ikael Bellman stand im Eingangsbereich des Osloer Kreisgefängnisses und sah Sigurd Altman in Begleitung eines Wärters zur Pforte kommen.
    »Entlassung?«, fragte der Angestellte an der Schleuse.
    »Ja«, sagte Altman und reichte ihm ein Formular.
    »Etwas aus der Minibar genommen?«
    Der andere Wärter amüsierte sich über den Standardwitz, der vermutlich bei jeder Entlassung angebracht wurde.
    Die persönlichen Besitztümer wurden aus einem Schrank genommen und mit einem breiten Grinsen ausgehändigt.
    »Ich hoffe, der Aufenthalt hat Ihre Erwartungen übertroffen, Herr Altman, und natürlich auch, dass wir uns nicht so bald wiedersehen.«
    Bellman hielt Altman die Tür auf. Gemeinsam gingen sie über die Treppe nach unten.
    »Draußen wartet die Presse«, sagte Bellman, »wir gehen besser durch den Tunnel. Krohn wartet in einem Auto hinter dem Präsidium.«
    »Meister des Schachzuges«, sagte Altman mit einem säuerlichen Lächeln.
    Bellman fragte nicht, wen von ihnen beiden er meinte. Ihm brannten ganz andere Fragen auf der Zunge. Die letzten. Er hatte vierhundert Meter, um die Antworten zu bekommen. Der Türschließer summte, und er öffnete die Tür zum unterirdischen Gang: »Jetzt, da unser Handel abgeschlossen ist, können Sie mir vielleicht ja noch das eine oder andere erzählen.«
    »Schießen Sie los, Herr Kriminaloberkommissar.«
    »Zum Beispiel, warum Sie Harry nicht gleich korrigiert haben, als Ihnen klarwurde, dass er Sie festnehmen wollte?«
    Altman zuckte mit den Schultern: »Weil mich das Missverständnis amüsiert hat. Seine Schlussfolgerung war in sich komplett logisch. Ich habe nur nicht verstanden, warum ich in Ytre Enebakk festgenommen worden bin. Warum ausgerechnet dort? Wenn einem etwas unklar ist, hält man besser die Klappe. Also habe ich geschwiegen, bis mir langsam alles klarwurde und ich das ganze, große Bild gesehen habe.«
    »Und was hat Ihnen dieses Gesamtbild gesagt?«
    »Dass ich das Zünglein an der Waage war.«
    »Wie meinen Sie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher