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Léonide (German Edition)

Léonide (German Edition)

Titel: Léonide (German Edition)
Autoren: Charlotte Schaefer
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Gedächtnis brennen wird: Costantini und Willem, einträchtig beieinandersitzend; ich ein wenig a b seits, sie beobachtend wie ein Schauspiel.
    Da höre ich erneut das Summen, und blendendes Licht fällt in die Arena und durchschneidet die Finsternis mit dem dumpfen Klang eines Glockenschlags. Der Wind frischt auf, fährt mir in die Kleider, greift in mein Haar, wirbelt Staub, P i niennadeln und Blätter auf. Sie kratzen und schaben über Ste i ne, Säulen und Sitzreihen. Ich stehe noch immer still, spüre, wie die Natur an mir zerrt, schließe die Augen und atme die kühle Abendluft ein. Vergesse Willem und Costantini; verge s se, was ich gewesen bin und werden möchte.
    Und ich lasse los.
    Ein letztes Rauschen wie von Flügelschlag, ein letztes Krächzen und Rascheln von Laub. Als ich die Augen wieder öffne, sehe ich dort, wo Willem und Costantini beieinanderg e sessen haben, nur noch einen gestaltlosen Schatten, der sich im Dämmerlicht auflöst. Willem und Costantini, die zu einer einzigen, geisterhaften Gestalt verschmolzen sind.
    Danach wird es totenstill. Das Licht verglüht, bis um mich herum undurchdringliche Dunkelheit herrscht – allerdings e i ne Dunkelheit nicht in Erwartung von gesichtslosen Fratzen und hassverzerrten Geistergesichtern, sondern eine Dunke l heit, die still verharrt und auf den Anbruch des Tages wartet.
     
    Danach sehe ich Willem nur noch ein einziges Mal. Es ist noch am selben Abend; Frédéric hat sich längst von mir ve r abschiedet, und ich bin nach oben gegangen, um noch ein w e nig zu lesen. Ich betrete mein altes Zimmer und atme das G e fühl von Vergänglichkeit. Es ist einer der letzten Abende, die ich in meinem alten Heim verbringen werde.
    Ich trete für einen Augenblick ans Fenster, betrachte die froststarren, eng aneinandergeschmiegten Hausdächer in der stillen Dunkelheit. Über der Stadt sind wie gelbe Augen die Sterne aufgegangen. Der Mond ist eine Sichel, die silberne Farbe auf die Straßen gießt und die blicklosen Fenster und schmalen Gassen in schummriges Licht taucht. In der Ferne erkenne ich die tiefblauen Hänge der Alpillen, die wie dunkle Zähne in den Himmel ragen.
    Und da sehe ich ihn. Er ist kaum mehr als eine schattenhafte Gestalt, die mit dem Grau der Gassen verschmilzt. Ich trete näher ans Fenster heran und schaue genauer hin. Kein Zwe i fel   – ich erkenne seinen Gang, seine Kleidung und seine grob g e schnitzten Gesichtszüge. Ich würde sie überall erk ennen .
    Ich öffne das Fenster, beuge mich hinaus und rufe seinen Namen. Er schaut nach oben und lächelt, als hätte er nur d a rauf gewartet, dass ich ihn erkenne und zurückrufe. Er trägt eine blaue Mütze, ein ausgewaschenes Hemd, eine dunkle H o se und Lederschuhe. Auf seinem Rücken erkenne ich seine Staffelei und all die anderen Malutensilien, die ich ihn immer aus Arles habe hinausschleppen sehen.
    Es ist an der Zeit. Willem hat mich darum gebeten, ihn g e hen zu lassen. Ich werde nicht noch einmal versuchen, ihn z u rückzuhalten, also lächle ich, winke ihm zu – und lasse los . Er winkt zurück, auf den Lippen noch immer jenes augenzwi n kernde Lächeln, das ich noch von früher kenne. Er ist wieder der Alte. Die Spuren, die der Schmerz, die Trugbilder, die Al b träume auf seinem Gesicht hinterlassen haben – verschwu n den. Es ist, als wären sie nicht mehr als gestaltlose Schatten, die ihm nichts anhaben können. Nicht mehr.
    Ich blicke Willem nach, während er in den Tiefen der Ga s sen, die sich wie Adern durch Arles ziehen, verschwindet. Er blickt nicht zurück. Das Letzte, was ich von ihm sehe und h ö re, sind seine dynamischen Schritte und das Klappern seiner Ausrüstung, als er Arles verlässt, um malend hinüberzugehen, und ich betrachte dieses Bild durch das Auge des Malers.

Epilog
     
     
     
    E
    s wird nicht aufhören.
    Er steht vor der Abtei Montmajour und betrac h tet die frosterstarrte Landschaft. Geschwu n gene Weinberge, die dunklen Fackeln der Zypressen, karge Olive n bäume und Gebüsche, die vom Wind hin und her g e peitscht werden. Nur er selbst steht bewegungslos, ein dunkler Umriss vor einer blassen Sonne und einem sturmu m tosten Himmel.
    Er hat nicht mehr viel Zeit. Er braucht Leben, das ihm sein Gesicht zurückgibt. Das Mädchen hat ihn fortgeschickt. Er hat keine Macht über jene, die nicht an ihn glauben, also bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich eine neue Seele zu suchen. Ein anderes Paar schöner Augen.
    Die Tage ziehen sich zäh dahin. Er hat
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