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Léonide (German Edition)

Léonide (German Edition)

Titel: Léonide (German Edition)
Autoren: Charlotte Schaefer
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meinen Eltern erkläre, was geschehen ist. Ich weiß, sie werden es im besten Fall resigniert, keinesfalls aber gelassen aufnehmen – es ist das zweite Mal innerhalb weniger Monate, dass ich ihnen Kummer bereite.
    Frédéric und ich stehen zu zweit vor der Tür zum Salon. Als wir eintreten, erhebt sich meine Mutter aus dem Sessel, in dem sie gesessen und gestrickt hat, tritt auf uns zu und nimmt u n sere Hände. Mein Vater steht vor dem Kamin und blickt in die Flammen. Mein Herz klopft rasend gegen meinen Brus t korb. Mir ist übel.
    »Ihr wolltet uns etwas sagen?« Cornélie blickt zuerst Frédéric, dann mich an. Ich spüre ihre Erwartung beinahe körperlich. Frédéric sagt nichts.
    Das hier geht ganz und gar nicht so vonstatten, wie ich es mir vorgestellt habe. Ich begreife: Cornélie und Théodore denken, wir wollen heiraten. Es hat schon vor meiner Abreise Hinweise darauf gegeben, dass eine Hochzeit im Bereich des Möglichen liegt. Andererseits hätte Frédéric dann zuerst bei meinem Vater um meine Hand angehalten. Ich spüre, dass auch Théodore das weiß und deshalb noch immer mit dem Rücken zu uns steht.
    Meine Stimme klingt selbstbewusst, aber merkwürdig hohl, als ich endlich zu einer Antwort ansetze. »Ich glaube, das, was ich euch sagen will, ist nicht das, was ihr erwartet.«
    Meine Eltern tauschen einen kurzen, irritierten Blick aus. Meine Mutter lässt Frédérics und meine Hände los.
    »Was ist es?«, fragt sie, ihre Stimme nun nicht mehr euph o risch, sondern besorgt.
    Urplötzlich wird mir klar, dass ich das, was ich mir zurech t gelegt habe, nicht aussprechen kann. Ich kann meine Eltern nicht ein weiteres Mal verletzen, Frédéric nicht erneut in Schwierigkeiten bringen. Was, wenn mein Vater mir jeden we i teren Kontakt zu ihm verbietet als Strafe für das, was wir getan haben? Das würde ich nicht ertragen. Ich kann nicht von ihm getrennt sein. Bereits zwei Wochen, in denen ich ihn nur selten zu Gesicht bekommen habe, haben ausgereicht, um mir das vor Augen zu führen.
    Als ich nichts sage, ergreift Frédéric das Wort. »Es ist so: Léonide … «
    Ich unterbreche ihn in der Hoffnung, zurückrudern zu kö n nen, und ignoriere die Tatsache, dass meine Mutter mir einen tadelnden Blick zuwirft. »Frédéric und ich werden heiraten.«
    Ich spüre Frédérics dunkel verhangenen Blick auf mir und denke an seinen Antrag, den ich keine Sekunde lang in B e tracht gezogen habe aus Angst davor, mich an einen Mann zu bi n den. Plötzlich erscheinen mir meine Bedenken lachhaft. Es geht hier nicht um einen beliebigen Mann, sondern um Frédéric, der mich kennt und trotzdem liebt.
    »Also doch«, höre ich meine Mutter sagen, dann fällt sie Frédéric und mir um den Hals. Mein Vater wendet sich vom Kamin ab und kommt milde lächelnd auf uns zu. Er scheint aufrichtig überrascht zu sein – ich vermute, dass er mit e i ner unerfreulichen Nachricht gerechnet hat. Mit der Nac h richt, die auszusprechen ich im Begriff gestanden habe.
    Während Cornélie und Théodore uns umarmen, werfe ich Frédéric von der Seite einen Blick zu. Als er bemerkt, dass ich ihn betrachte, verwandelt sich der Schock, der sich in seinem Gesicht abgezeichnet hat, in ein Lächeln. Ich sehe die unau s gesprochene Frage in seinen Augen: Du nimmst mich also doch? Und ich antworte ebenso stumm mit einem schlichten Ja .
     
    Frédéric und ich entscheiden uns für einen Tag im Deze m ber, obwohl meine Mutter das für überstürzt hält. Sie ahnt ja nicht, dass es Gründe gibt, an denen sich nicht rütteln lässt – i m merhin wächst in meinem Inneren bereits ein neues Leben heran. Wenn alles gutgeht, wird niemand davon erfahren. Der Einzige, von dem ich glaube, dass er den Grund für unsere Hast ahnt, ist mein Vater, obwohl er nie etwas dazu sagt.
    Mit Frédérics Hilfe finde ich langsam in mein altes Leben zurück. Es wird noch lange dauern, bis ich zumindest bis zu einem gewissen Grad wieder ›die Alte‹ bin – dieselbe, die ich einst gewesen bin, werde ich nie wieder sein. Zu viel ist pa s siert, zu viele Bilder, Stimmen und Gedanken sind auf mich eingestürmt und haben mein Inneres auf den Kopf gestellt. Ich bin vernarbt, meine Seele rissig. Ich habe gelernt, damit umzugehen, habe begriffen, dass jeder Mensch Schmerzen erleidet. Es ist eine Prüfung, und ich muss beweisen – ob nun einer göttlichen Macht oder mir selbst –, dass ich in der Lage bin, sie zu bestehen.
    Ich komme langsam wieder zu Kräften, nehme wieder zu.
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