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Lennox 03 - Der dunkle Schlaf

Lennox 03 - Der dunkle Schlaf

Titel: Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
Autoren: Craig Russell
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Zigarettenetui mit dem Monogramm wurde mehrere Tage lang keine Bedeutung beigemessen. Immerhin war es nicht ganz außergewöhnlich, dass im Clyde eine Leiche gefunden wurde. Mehr als nur ein paar beschwipste Fischer oder orientierungslos im Smog umhertapernde Streifenpolizisten hatten die Gleichung zwischen langem Marsch und kurzer Pier falsch aufgelöst; auch gekenterte Schlepper und hin und wieder ein Unfall beim Stapellauf eines Schiffes hatten für eine regelrechte Bevölkerung des Flussbetts gesorgt. Und natürlich machte sich die unternehmungslustige städtische Unterwelt die Möglichkeit, unbeliebte Zeitgenossen im Clyde verschwinden zu lassen, in vollem Umfang zunutze.
    Was mich anging, hatte ich in diesem September des Jahres 1955 ganz andere Dinge im Kopf. Der heißeste Glasgower Sommer aller Zeiten war zu Ende, was zugegeben kein besonderer Superlativ war – ähnlich wie Italiens größter Kriegsheld, Edinburghs lustigste Frohnatur oder Aberdeens großzügigster Menschenfreund –, aber der Sommer von ’55 hatte den vorangegangenen im wahrsten Sinne des Wortes überstrahlt und Temperaturen erreicht, bei denen laut der staunenden Lokalzeitungen der Straßenbelag schmelzen konnte. Ob das mit der Temperatur nun stimmte oder nicht, dieser Sommer in Glasgow bleibt mir als klebrig und beißend in Erinnerung: Die zähe dicke Luft roch wie heißer Stahl, und den strahlenden Himmel überzogen schwarze Streifen dichten, körnigen Rauchs aus Fabrikschornsteinen und Schloten. Denn wie immer das Wetter auch aussah, Kohle war und blieb das Element Glasgows, und auf offener Straße kam man sich vor wie in einem Stahlwerk.
    Doch jetzt schlug die Jahreszeit um. Aus Sommer wurde Herbst, den es in Glasgow nur selten gibt: Das Klima von Westschottland ist dafür berühmt, vom Golfstrom abgemildert zu werden, und das Wetter variiert im Allgemeinen nur von leicht wärmer und feucht im Sommer zu leicht kälter und feucht im Winter. Glasgows Rauch rülpsende Schwerindustrie verlieh der Stadt ebenfalls ein einzigartiges, die Jahreszeiten ineinander verquirlendes urbanes Klima, was dazu führte, dass man den Herbst normalerweise nur im Kalender und dank der matschig-klebrigen, graubraunen Blätter, die die Gullys verstopften, bemerkte. In diesem Jahr aber war die Ankunft des Herbstes spürbar, weil ihm ein bemerkenswerter Sommer vorausgegangen war.
    Die wohlwollenden Gründerväter Glasgows hatten entschieden, die qualvolle Enge der Mietskasernen, in denen zu wohnen die Mehrheit der Glasgower verurteilt war, mit großen, offenen Parkflächen aufzubrechen. In diesem Jahr bemerkte ich zum ersten Mal das strahlende herbstliche Rot und Gold in den Baumkronen.
    Aber wie gesagt, in diesem Jahr war vieles anders.
    Zum ersten Mal, seit ich ein Büro auf der Gordon Street angemietet hatte, wickelte ich dort den Großteil meiner Geschäfte ab. Ich hatte gerade drei Scheidungs- und einen Vermisstenfall abgeschlossen und beaufsichtigte für eine Werft jede Woche den Geldtransport der Löhne. Mit letzterem Vertrag war ich besonders zufrieden. Jock Ferguson, mein Kontaktmann bei der Glasgower Polizei, hatte für mich gebürgt; und das bedeutete einiges, denn ihm war klar, dass zu meinen Bekannten Leute wie der Schöne Jonny und Hammer Murphy zählten, beide strahlende Sterne am Himmel der Strumpfmasken tragenden Gemeinde. Doch Ferguson und ich gehörten demselben grimmigen Nachkriegs-Freimaurerklub an, dessen Mitglieder sich an der Nasenspitze ansahen, wenn sie durch den Fleischwolf der militärischen Schlacht gegangen waren. Ich kannte Jocks Geschichte nicht – ich würde ihn nie danach fragen, und er würde auch nie nach meiner fragen –, aber mir war klar, dass darin mehr finsteres Mittelalter als hell strahlende Aufklärung vorkam.
    So wie bei mir auch.
    Ich wusste außerdem, dass Jock Ferguson mich für ehrlich hielt – na ja, vergleichsweise ehrlich zumindest. Früher einmal hätte ich ähnlich sorglos für Jock gebürgt. Ich hatte ihn als einen Glasgower Bullen betrachtet, bei dem ich sicher sein konnte, dass er kein Geld annahm oder auf andere Art in dunkle Geschäfte verwickelt war; mein Vertrauen zu ihm hatte vor ungefähr einem Jahr jedoch einen Dämpfer erlitten, und ich neigte selbst an meinen guten Tagen nicht unbedingt dazu, in anderen Menschen das Beste zu sehen.
    Vor allem aber hatte ich mit dem Lohntransport-Vertrag einen echten, ernsthaften Versuch unternommen, den Drei Königen aus dem Weg zu gehen: Cohen, Murphy und
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