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Lennox 03 - Der dunkle Schlaf

Lennox 03 - Der dunkle Schlaf

Titel: Lennox 03 - Der dunkle Schlaf
Autoren: Craig Russell
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Jeder andere war überzeugt, aber Williamson bestand darauf, mich beim nächsten Vorstoß zu begleiten. Wir kamen bis zu den deutschen Linien, auf einem Weg, den ich genommen hatte, als ich wirklich dort gewesen war. Ich führte ihn von Deckung zu Deckung, und das überzeugte ihn, dass ich in der Nacht tatsächlich den Weg gegangen war. Das Problem war nur, dass er darauf bestand, auf weiteren Erkundungstouren mitzukommen. Der Narr wäre irgendwann mein Tod gewesen. Doch ich konnte dadurch ein vertrauliches Verhältnis zu ihm aufbauen, so vertraulich zumindest, wie die Kluft von Rang und Klasse es gestattete. Ich fragte ihn über sein Leben aus, und er sagte mir, dass er Südafrikaner sei, aber eine der dortigen Privatschulen besucht habe. Nach ein paar Gesprächen hatte ich aus ihm herausbekommen, dass er keine nahen Angehörigen mehr hatte. Er war ungefähr von meiner Größe und in meinem Alter und sah mir recht ähnlich, und ich beschloss, ihn im Niemandsland zu töten und seine Papiere und Rangabzeichen an mich zu nehmen.
    Jeder musste glauben, dass Henry Williamson noch lebte, damit ich seine Identität nach dem Krieg benutzen konnte, daher plante ich, dem Kommandeur zu sagen, er sei nicht gefallen, sondern gefangen genommen worden. Ich hatte es für unseren nächsten Spähtrupp geplant, doch als wir das Niemandsland zur Hälfte hinter uns gebracht hatten, zündete direkt über uns eine deutsche Leuchtkugel, und wir wurden entdeckt. Sie eröffneten das Feuer, und Williamson wurde in die Beine getroffen.«
    »Die Deutschen nahmen Ihnen also die Arbeit ab …«
    »Nein, überhaupt nicht. Ich konnte nicht riskieren, dass Williamson wirklich in Gefangenschaft geriet, und deshalb trug ich ihn zurück zu unseren Linien. Und das war es. Plötzlich war ich kein Deserteur mehr, sondern ein Held. Ich bekam nicht die Kugeln eines Erschießungskommandos vor die Brust, sondern einen Haufen Orden. Und Williamson …« Strachan schüttelte ungläubig den Kopf. »Und Williamson wurde mein Busenfreund.«
    »Williamson hat den Krieg überlebt?«
    »Das hat er. Er wollte in Verbindung bleiben, und ich ermutigte ihn dazu. Er kam unangekündigt nach Glasgow, glaubte, er überraschte seinen alten Kriegskameraden. Ich hielt es für sehr merkwürdig, denn immerhin war er ein Offizier und Gentleman, aber dann fand er heraus, dass ich als Gangsterboss bekannt und gefürchtet war. Wie sich herausstellte, war er völlig mittellos und ohne Aussicht auf eine Anstellung, und er bat mich um ein Darlehen und um Arbeit. Beides gab ich ihm. Er war ideal für Betrug, weil niemand einen solchen Gentleman verdächtigte. Der echte Henry Williamson erwies sich als genauso von Grund auf verdorben wie ich, nur benutzte er die Vorrechte seiner Klasse, um es vor der Welt zu verbergen.«
    »Lassen Sie mich raten … Sie überzeugten ihn, Ihnen alles beizubringen, was Sie wissen mussten, damit Sie gemeinsam auftreten konnten?«
    »Ich bin beeindruckt, Lennox – schon wieder. Genau das tat ich. Dabei erfuhr ich alle möglichen Einzelheiten aus seinem Leben – als Hintergrund für einen typischen Gentleman natürlich. Ich fand heraus, wo und mit wem er zur Schule ging, wie die Lehrer hießen, all das. Das Schöne an seiner südafrikanischen Herkunft war, dass er Michaelhouse in Natal besuchte, die südafrikanische Version einer privaten Eliteschule. Dadurch gewann ich gesellschaftliche Glaubwürdigkeit, ohne hier in Britannien ständig über ›alte Schulkameraden‹ zu stolpern.«
    »Dann haben Sie ihn umgebracht?«
    »Leider ja. Aber nicht so, wie Sie glauben. Ich hatte es natürlich geplant, aber ich ertappte ihn dabei, wie er mich bestahl. Zuerst kleine Summen und auch Gegenstände, zum Beispiel mein Lieblingszigarettenetui aus Gold.«
    »O mein Gott …« Der Groschen fiel. Bis runter auf den Grund des Clydes. »Das war seine Leiche, die sie hochgeholt haben?«
    »Die Polizei lag mit dem Datum meilenweit daneben. Ich schoss ihm ins Genick, wickelte ihn in Ketten und warf ihn in den Fluss. Aber das war ’29, nicht ’38. Mir tat die ganze Sache tatsächlich ziemlich leid, deshalb steckte ich ihm das Zigarettenetui in die Tasche, als Geste sozusagen, und ließ mir vom gleichen Goldschmied ein identisches Etui anfertigen. Ich muss sagen, ich hätte nie gedacht, dass der gute alte Henry je gefunden wird, und ganz gewiss nicht nach so langer Zeit; aber dass jeder annahm, ich wäre es gewesen, stellte einen unerwarteten Glücksfall da. Joe Strachan ist
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