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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche
Autoren: Sigrid Ramge
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Musik von Richard Wagner.
    Beim Kampf mit ihrem Standboxsack gelang es ihr, sich ihren Frust über das stupide Leben, das sie führte, abzutrainieren. Dieser Missmut überfiel sie jeden Abend, sobald sie ihr Haus betrat, und wurde ihr an den Wochenenden fast unerträglich. Sie konnte diese Unzufriedenheit mit sich selbst und die daraus resultierende Wut auf Gott und die Welt nicht wegstecken, bevor sie ihren Boxsack lange genug bearbeitet hatte. Und sie fand keine Ruhe, bevor ihr tägliches Programm auf dem Heimtrainer erledigt war. Brünnhilde wusste Bescheid, wie man sich fit hielt. Die Frage, wofür sie sich fit hielt, hätte sie indessen nicht beantworten können. Das Training war ihr einziges Hobby, und sie kam nie auf die Idee, es für eine andere Freizeitbeschäftigung einzuschränken.
    Ein weiteres Geheimnis war ihr Liebesleben. Immer war sie überzeugt gewesen, dass die Männer sie nicht mochten, und deswegen mochte sie sie auch nicht. Das hieß nicht, dass sie kein sexuelles Verlangen spürte. Es reichte ihr, sich selbst zubefriedigen. Darauf konnte sie verzichten, seit Erik bei ihr wohnte. Er verstand es, ihre Gelüste wirkungsvoll und perfekt zu stillen. Das Krafttraining gehörte seit vielen Jahren, aber Erik erst seit einem Jahr zu Brünnhildes Geheimnissen.
    Brünnhilde stand immer noch im Garderobenraum der Bank vor dem Spiegel. Bedächtig krempelte sie den rechten Ärmel der beigefarbenen Hemdbluse hoch und betrachtete ihren Bizeps. Zog den Blusensaum aus dem Bund und streichelte ihren straffen, flachen Bauch. Raffte die weiten Hosenbeine bis zu den Oberschenkeln hoch, um ihre muskulösen Waden abzutasten.
    Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie träumte. Träumen hielt sie für eine Schwäche, die sie sich sonst nicht erlaubte, schon gar nicht in den Räumen der Bank. Hastig brachte sie ihre Kleidung in Ordnung und warf einen letzten Blick in den Spiegel. Obwohl sie sich spontanes Lächeln, genau wie das Träumen, sonst nicht gestattete, lächelte sie sich an. Ihr Spiegelbild bescheinigte ihr, dass sie eine große, gut gebaute, aber trotzdem unscheinbare Frau war.
    Ihre kleine Träumerei hatte kaum mehr als fünf Minuten gedauert, aber nun erschrak sie über ihr Trödeln und öffnete die Tür zum Schalterraum.
    Wenig später rief Brünnhilde Kurtz die Polizei an.
    Als Polizeimeister Rettich, ein schlaksiger junger Beamter mit vor Tatendrang glühenden Ohren, in der Bank ankam, stand Frau Kurtz unter Schock. Sie saß zusammengesunken an ihrem Schreibtisch, starrte vor sich hin und rang die Hände. Die Kolleginnen, die pünktlich zum Arbeitsbeginn eintrafen, erkannten ihre Chefin kaum wieder. Sie waren es gewöhnt, dass Frau Kurtz, die in der Regel zwar nicht übermäßig freundlich, aber doch immer korrekt war, unerwartet herrisch werden konnte – aber ratlos oder gar erschüttert hatten sie sie noch nie erlebt. Die Kassiererin Frau Schick und das Maierchen, wie Frau Maier auf Grund ihrer Jugend von den Kollegen genannt wurde, mussten zuerst jede ihren eigenen Schreck überwinden, bevor sie sich redlich bemühten,die Chefin zu trösten. Auch der stellvertretende Filialleiter Kleiber, der einige Minuten nach den zwei Damen in der Bank erschien, tat sein Bestes, um Frau Kurtz zu beruhigen.
    Polizeimeister Rettich hatte bereits das Raubdezernat verständigt und Verstärkung angefordert, aber er genoss es, sich wichtig machen zu können, bevor die Kollegen eintrafen. Er begann Frau Kurtz penetrant auszufragen. Sie wiederholte mehrmals die gleiche Litanei: Sie sei wie an jedem Arbeitstag als Erste in der Bank gewesen. Sie habe den Tresor aufgebrochen und die Schubladen und Aktenregale durchwühlt vorgefunden.
    »Sehen Sie doch selbst!«, schrie sie plötzlich ungeduldig und zeigte auf den am Boden liegenden Kabelsalat der PCs und Telefone. »Sogar die Alarmanlage ist zerstört! Ich war froh, dass ich mein Handy dabei hatte und die Polizei anrufen konnte.« Sie sprang vom Stuhl hoch, stampfte mit dem Fuß auf und ballte die Fäuste.
    Polizeimeister Rettich wirkte zwar durch den Wutausbruch der Filialleiterin nicht mehr so forsch wie anfangs, nahm aber Haltung an, um das Verhör würdig fortzusetzen. Obgleich die Frage nicht unbedingt in seine Zuständigkeit fiel, erkundigte sich Rettich bei Frau Kurtz, wie viel Geld sich im Tresor befunden habe. Sie zeigte auf den PC mit den herausgerissenen Kabeln und sagte, die genaue Summe habe sie am Freitag vor Feierabend noch gespeichert, aber sie wäre jetzt
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