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Lemberger Leiche

Lemberger Leiche

Titel: Lemberger Leiche
Autoren: Sigrid Ramge
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völlig durcheinander und wisse nicht mehr genau, wie hoch der Betrag gewesen sei.
    »Na ja«, sagte Rettich, »das können die Kollegen vom Raubdezernat herausfinden.«
    Inzwischen waren zwei Spurensicherer eingetroffen und hatten den Bescheid mitgebracht, dass Kommissar Stöckle vom Raubdezernat nicht käme, da der Bankräuber bereits gefasst worden sei.
    Rettich war erleichtert, weil sich sein Job dadurch weniger verantwortungsvoll gestaltete. Das Wichtigste, was hier noch zu suchen war, waren die Fingerabdrücke des Täters.
    Frau Kurtz stand mittlerweile wie eine strafende Göttin in der Mitte des Schalterraumes. Auf die Frage, ob sie etwas verändert habe, schüttelte sie energisch den Kopf.
    Gegen ihre Größe von eins sechsundachtzig wirkte Polizeimeister Rettich mickrig, und die zwei Spurensucher in ihren weißen Overalls sahen neben ihr wie avantgardistische Hutzelmännchen aus. Einer davon begann eifrig Möbel und Türen abzupinseln, mit dem anderen ging Rettich zum Hinterausgang, der zur Garage führte.
    Als Rettich zurückkam, fragte er Frau Kurtz, durch welche Tür sie an diesem Morgen in die Bank gekommen sei. Sie sagte, da sie ja kein Auto habe, käme sie immer zu Fuß und benutze die Zugangstür von der Straße aus.
    Daraufhin erklärte der Polizeimeister: »Der Täter ist durch die Garage hereingekommen und hat den Hintereingang zu den Bankräumen aufgebrochen!«
    Der Spurensicherer wies darauf hin, dass an dem Garagentor und der Hintertür keinerlei Einbruchsspuren gefunden worden seien.
    Worauf Rettich ebenfalls eine Antwort parat hatte: »Das war eben ein Profi. Erst hat er die Alarmanlage und die Überwachungskameras außer Betrieb gesetzt und dann, wie auch immer, den Tresor geöffnet. Als er das Geld hatte, ist er durch die Tür zur Straße hinaus. Und weg war er! – Sehen Sie das auch so, Frau Kurtz?«
    »Aber ja«, bestätigte sie. »Die vordere Tür ist von innen problemlos zu öffnen.«
    Neugierig fragte sie den Spurensicherer, der dabei war, die vordere Tür nach Spuren zu untersuchen, ob er die Fingerabdrücke des Täters schon gefunden habe.
    »Die Spuren müssen erst im kriminaltechnischen Labor ausgewertet werden«, belehrte er sie. »Wie es scheint, kleben die Abdrücke der schweißigen Kundenhände von der ganzen vergangenen Woche dran. Alles ziemlich unübersichtlich. Ich hoffe, wir finden Hinweise in den Geschäftsräumen, wo keine Kunden gewesen sind.«
    »Ist doch ganz einfach«, sagte die Kassiererin Frau Schick. »Fingerspuren, die nicht zu uns gehören, stammen von dem Bankräuber.«
    Polizeimeister Rettich fächelte sich mit seiner Mütze Luft zu. »Richtig. Deswegen sollte die gesamte Bankbelegschaft heute noch ins Präsidium zum Erkennungsdienst kommen und ihre Fingerabdrücke registrieren lassen.«
    Herr Kleiber zog sein Jackett aus. Da er an diesem Tag voraussichtlich keine Kunden bedienen musste, fand er das trotz dienstlich vorgeschriebener Kleiderordnung angemessen.
    Frau Kurtz schickte einen theatralischen Rundblick durch die Schalterhalle und seufzte: »In dieser Bank arbeite ich nun schon über zwanzig Jahre – und nun so etwas!«
    Sie ließ sich auf einen Stuhl fallen, drückte die Handballen gegen die Kiefer und die Fingerkuppen auf die Stirn und keuchte: »Mein Kreislauf! Ich habe ja noch nicht mal gefrühstückt!«
    Polizeimeister Rettich, der auch noch nicht gefrühstückt hatte, wies Frau Schick und das Maierchen an, Kaffee zu kochen, und schickte Herrn Kleiber zum Bäcker. Kleiber zog sein Jackett wieder an und übernahm widerspruchslos die Pflicht, die sonst dem zurzeit im Urlaub befindlichen Auszubildenden oblag. Er marschierte zum Sternenbäck und kaufte Brezeln und Laugenweckle.
    Kurze Zeit später saßen der uniformierte Hüter des Gesetzes, die in ihre weißen Schutzanzüge verpackten Spurensicherer und die Bankbelegschaft einträchtig an einem Beratungstisch und frühstückten. Niemand fragte danach, ob das korrekt sei.
    Da die Spuren erst ausgewertet werden mussten und Polizeimeister Rettich vorläufig keine weiteren Fragen einfielen, trennte man sich nach dem Frühstück wie gute alte Bekannte. Rettich gab grünes Licht zum Aufräumen. Nachdem ihn bei der Verabschiedung Frau Kurtz’ spontaner Händedruck fast in die Knie gezwungen hatte, ging er nachdenklich über die Straße zu seinem Auto.
    Bevor er einstieg, schüttelte er den Kopf und murmelte: »Wie kann man nur bei dieser Länge Kurtz heißen?«
    Nachdem die Polizeibeamten gegangen waren,
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