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Leitfaden China

Leitfaden China

Titel: Leitfaden China
Autoren: Hans Jakob Roth
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alles Menschen. Gleichzeitig erlaubt die Definition aber auch, die ethnischen Grenzen einer tieferen Ebene zu erfassen. Sie müssen überwunden werden, wenn Kultur tatsächlich in letzter Konsequenz als grenzüberschreitend und allgemein menschlich verstanden werden soll.
    Auf dieser Definition lässt sich in der Folge die Frage der Wahrnehmung von Nähe und Ferne ansiedeln, welche sowohl die physischen wie die psychischen Engagements einer Person in ihrem natürlichen und sozialen Umfeld bestimmt. Sowohl in der Wahrnehmung des Raumes wie in derjenigen der Zeit ist eine physikalische und eine psychische Seite zu unterscheiden, auf die an anderer Stelle noch eingegangen wird.
    Kulturelle Betrachtungsebenen
    Dieser umfassende, zugleich statische und dynamische Kulturbegriff muss zudem auf seinen verschiedenen Niveaus betrachtet werden. Einmal ist er auf der Ebene der Person anzusiedeln, indem wir Persönlichkeit mit einer persönlichen Kultur gleichsetzen, dann auf den verschiedenen sozialen Niveaus, von der Gruppe zur Ethnie oder zur Nation, wobei immer dieselben Parameter des Kulturbegriffs verwendet werden können. Eine Nationalkultur ergibt sich in der Folge aus einer Aggregation der individuellen Kulturmuster zu einer modalen Persönlichkeit. Diese Frage der Nationalkultur und der damit verbundenen modalen Persönlichkeit war eines der grossen Diskussionsthemen der amerikanischen Anthropologie der fünfziger Jahre des 20. Jahrhunderts (siehe z. B. Inkeles & Levinson, 1954, Kluckhohn, 1953, Lévi-Strauss, 1953, Mead, 1953, Brown, 1951). In einer allgemeinen Diskussion um Kultur müssen deshalb vorgängig die verschiedenen Ebenen einer Kulturbetrachtung geklärt werden, vor allem, wenn Fragen der Zugehörigkeit zu Gruppen oder die Ausgeschlossenheit von ihnen behandelt werden.
    Jede Klärung von Identität braucht nicht nur
einen Bezug
zur umgebenden Gesellschaft, noch wichtiger ist
die Abgrenzung
gegenüber dieser sozialen Umgebung (siehe z. B. Tajfel, 1985, oder Triandis, 1995). Hier liegt die Essenz der Eigengruppen/Fremdgruppen-Unterscheidung mit allen ihren Konsequenzen. Eine Überwindung dieser Abgrenzungen ist nur möglich, wenn der zugrunde liegende soziale Wettbewerb auf einem höheren Niveau angesiedelt wird. Die individuellen Wettbewerbsmuster innerhalb einer Gruppe werden erst auflösbar, wenn sich die Gruppenmitglieder in einer Wettbewerbssituation mit einer anderen Gruppe als Einheit zu fühlen beginnen und die intragruppalen Auseinandersetzungen unwichtiger werden als der Bezug zur Gruppe auf der höheren, umfassenderen Ebene. Die gesamten Diskussionen um Identitäten, um Kulturen oder um Wettbewerbsverhalten können deshalb nur mittels einer klaren Unterscheidung der verschiedenen Kultur- und Betrachtungsniveaus geführt werden. Nur so wird es grundsätzlich möglich, kulturelle Grosseregionen wie Mitteleuropa und Ostasien zu vergleichen, denn auf dieser hohen Ebene der Aggregation sind die Unterschiede auf den nationalen Ebenen zu Gunsten der Merkmale einer regional übergreifenden Kulturbetrachtung zu vernachlässigen.
    Dies scheint auf den ersten Blick sehr abstrakt zu sein. Nehmen wir aber das Beispiel der schweizerischen Kultur. Von prominenter Seite ist einmal behauptet worden, es gäbe gar keine schweizerische Kultur. Dies ist richtig, gleichzeitig aber auch falsch. Es hängt von der Betrachtungsebene ab, ob wir von einer schweizerischen Kultur sprechen können oder nicht. Sind wir in der Schweiz und schauen unsere Kulturlandschaft an, so haben wir offensichtlich keine schweizerische Kultur. Man müsste mit Blick auf unsere Sprachräume mindestens von vier Kulturen sprechen. Gehen wir jedoch ins Ausland und werden auf die Schweiz angesprochen, dann haben wir eine schweizerische Kultur. Auf dieser höheren Betrachtungsebene wird deutlich, dass unsere Nachbarn uns als schweizerische Kulturregion betrachten. Das nebeneinander der vier Sprachregionen wird dann gerade als ein Ausdruck dieser schweizerischen Kultur verstanden.
    Auch der Einbezug der Zeit in diesen Kulturbegriff macht keine Schwierigkeiten, Zeit ist als objektive, physikalische Zeit im Modell explizit und implizit vorhanden. Die subjektive Zeit ist mit dem Raumempfinden untrennbar verbunden und wird in den beiden individuellen Komponenten der Auseinandersetzung einer Person mit ihrer natürlichen und sozialen Umwelt offenbar.
    Durch einen Vergleich der kulturellen Unterschiede auf dem Hintergrund dieser Kulturdefinition und der
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