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Leitfaden China

Leitfaden China

Titel: Leitfaden China
Autoren: Hans Jakob Roth
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Verbindung mit der Wahrnehmung von Raum und Zeit wird es möglich, sowohl die Unterschiede wie die Ähnlichkeiten zwischen verschiedenen Kulturen zu fassen, sei dies innerhalb eines Landes, oder grenzübergreifend in einem internationalen Zusammenhang, um schliesslich zu einer umfassend menschlichen Sicht der Kultur auf einer globalen Ebene zu kommen. Wir sind zwar alles Menschen, doch wir wachsen jeweils
anders
in eine
andere
Gesellschaft hinein. Sowohl die Sozialisation ist verschieden, wie auch die Gesellschaft, in welcher diese andere Sozialisation stattfindet. Um die Ähnlichkeiten unseres Menschseins fassen zu können, ist es notwendig, die Unterschiede herauszuarbeiten und sie in der Folge auf einem anderen Vergleichsniveau wiederaufzunehmen und ihre Ähnlichkeiten darzustellen. Bereits hier wird offenbar, dass eine der grössten Schwierigkeiten eines interkulturellen Verstehens darin begründet liegt, dass die interkulturellen Unterschiede, die sich auf der praktischen Ebene täglich offenbaren und die grossen ethnischen Probleme schaffen, auf einer tieferen Ebene liegen als die angestrebten Ähnlichkeiten, welche das Menschsein und den damit verbundenen Humanismus begründen sollen. Allein die Kenntnis der Praxis erlaubt es uns, die Unterschiede zu fassen, mit denen schliesslich eine Theorie der Ähnlichkeiten auf einer höheren Ebene der Abstraktion entwickelt werden kann. Insofern gibt es keine Abkürzung in die Internationalität, internationales Denken und Handeln müssen sich aus einer klaren lokalen Identität ergeben.

    2. Wie gehen wir auf eine andere Kultur zu?
    Wir wachsen im Laufe unserer eigenen Entwicklung in viele Kulturen hinein (siehe z. B. Erikson, 1984). Dies erlaubt es uns, in den entsprechenden Gruppen zu leben. Die erste Sozialisation findet in der Familie statt. Schnell wachsen wir dann aber in unsere entsprechende Geschlechterkultur hinein, dann über Freizeit, Ausbildung und Arbeit in weitere Gruppen, in denen wir uns laufend bewegen.
    Auch das Hineinwachsen in eine Gastgesellschaft ist durchaus möglich. Doch zeigen unsere nationalisierten Immigrantenkreise auf, dass dies mit grösseren Problemen verbunden ist als eine Integration in eine Erstkultur. Wir geraten, wenn wir nicht aufpassen, in ein Konfliktfeld von Integration und eigener Identität. Dies geht namentlich darauf zurück, dass wir die Integration in eine Gastkultur mit dem bis dahin erworbenen Erfahrungsschatz und den eigenen Wertmustern versuchen. Wir sind, wie dies Piaget mit Blick auf sein Werk «La construction du réel chez l’enfant» (1937) ausgedrückt hätte, in einem Konflikt zwischen Assimilation und Akkomodation gefangen. Assimilation fügt dabei Neues in bereits bekannte Muster ein, während die Muster bei der Akkomodation verändert werden müssen, wenn diese Einordnung auf Grund der Merkmale nicht möglich wird. Der Prozess der Akkomodation führt zu einer Erweiterung unserer Erfahrungshintergründe, wie er gerade in der Auseinandersetzung mit einer uns völlig fremden Kultur entstehen kann. Dieser Anpassungsprozess wird oft als Kulturschock bezeichnet und besteht im Wesentlichen aus der Erfassung und der Verarbeitung der Verhaltensweisen und des Denkens einer Gastgesellschaft (s. Kopper 1997, S. 33). Da ein solcher Aufenthalt gerade in einer stark anderskulturellen Umgebung eine Grenzerfahrung darstellt, hat er meist im beruflichen wie privaten Bereich nachhaltige Auswirkungen. In den meisten Fällen führen die neuen Erfahrungen zu einer positiven Weiterentwicklung der Persönlichkeit. Je grösser aber die verlangte Anpassungsleistung ist, desto grösser wird die Belastung für die betreffende Person. Der entstehende Druck kann durchaus «…Angst, Verwirrung, Desorientierung und depressive Reaktionen zur Folge haben.» (Thomas, Hagemann & Stumpf, 2003, S. 242)
    Die Grundregel verlangt, möglichst so zu sein, wie man ist, und keinesfalls zu versuchen, «chinesisch» zu handeln. Im Moment, wo dies nicht beherrscht wird, schafft ein solcher Versuch eine geradezu chaotische Kommunikationssituation. Eigentlich ist für professionelles Handeln eine weitere Sozialisation in der chinesischen Gesellschaft notwendig. Diese als erwachsene Person zu durchlaufen ist wesentlich schwieriger als im Kindesalter. Der rationale Geist und die in der eigenen Gesellschaft gemachten Erfahrungen stehen einem emotionslosen Hineinwachsen in eine andere Gesellschaft entgegen. Als Erwachsene versuchen wir sofort zu begreifen und,
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