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Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Leichtmatrosen: Roman (German Edition)

Titel: Leichtmatrosen: Roman (German Edition)
Autoren: Tom Liehr
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»Die Einweisung ist ab zwölf, wir müssen noch Proviant kaufen, die Bootsübernahme ist um drei. Wenn wir nicht bald losfahren, wird es nichts mit der Tour.«
    Wir schickten Simon Kurznachrichten an die diversen Nummern. Der etwas ungeschickte Henner mühte sich redlich damit ab, auf dem Touchscreen seines edlen Smartphones die Wegbeschreibung einzutippen. Und dann fuhren wir los, die Stadtautobahn in Richtung Norden, anschließend auf die A24. Ich saß hinter Mark, Henner hielt das Lenkrad mit beiden Händen umfasst und starrte konzentriert nach vorne. Es gab für ihn nur zwei Arten, Dinge zu tun: mit vollem Engagement – oder überhaupt nicht. Ich betrachtete seine zunehmende Glatze und die seltsamen Flecken auf der Kopfhaut und im Nacken. Ihm würde es leichter fallen, eine Krankheit vorzutäuschen, dachte ich.
    »Warst du mit dem Teil schon mal im Gelände?«, fragte Mark.
    Henner antwortete nicht.
    »Du warst gemeint«, ergänzte Mark und tippte dem Fahrer auf die Schulter.
    Henner zuckte zusammen. »Was?«
    »Ob du mit dem Ding schon im Gelände warst.«
    »Mit welchem Ding?«
    »Gott, natürlich mit dem verdammten Auto.«
    Henner sah kurz zu Mark. Gott. Verdammt . Ein Pfarrer,wenn auch ein evangelischer (wirklich evangelisch? Nicht einmal dessen war ich mir sicher), hörte das sicher nicht so gerne in dieser Konnotation.
    »Nein, warum?«
    Mark lachte. »Weil’s ein verdammter Geländewagen ist.«
    Henner sah Mark an, dann das Armaturenbrett, die Motorhaube, wieder das Armaturenbrett – als gäbe es da eine Erklärung für die merkwürdige Frage.
    »Ich meine«, fuhr Mark fort, »das Teil ist ja ultrabequem und riesig und all das, aber, ehrlich, mit der Leistung zieht er keinen Hering vom Teller. Du fährst Vollgas, und wir werden von Enten überholt. Aber dafür kann er wahrscheinlich Wände hochfahren, oder?«
    Henner sah wieder kurz zu ihm, mit einem etwas verwirrten Was-zur-Hölle-willst-du-von-mir-Gesichtsausdruck. Wir fuhren durch waldreiches Gebiet mit knapp 160, und das Geräusch, das vom enormen Windwiderstand des Bockels verursacht wurde, war weitaus lauter als dasjenige des Dieselmotors.
    »Ich fahre dieses Auto, weil man Überblick hat. Und weil es sicherer ist. Im NCAP-Test hatte der Discovery fünf Sterne.«
    »NCAP-Test«, wiederholte Mark. Das war eine Eigenart, die ich bereits kannte. Mark wiederholte Formulierungen, die er irgendwie interessant fand.
    »Ist ein schönes Auto«, sagte Henner etwas kryptisch. Ich konnte nicht umhin zu nicken. Schön. Geräumig. Zwei Schiebedächer. Viel Leder. Geile Instrumente. Riesiger Laderaum. Trotzdem fand ich Marks Frage plausibel.
    »Ich verstehe das nicht«, sagte der jetzt, »warum sich alle Geländewagen kaufen und dann nicht ins Gelände fahren. Ich täte das als Erstes. Irgendeine Kiesgrube mit viel Schlamm und so – ab geht er, der Peter. Ich hab irgendwo gelesen, dass es sogar Sprühschlamm für solche Leute gibt, in Dosen.«
    »Sprühschlamm?«, fragte der Fahrer konsterniert, offenkundigohne eine Peilung davon zu haben, wovon Mark sprach.
    »Ja, zum Draufsprühen. Damit die Karre nach Gelände aussieht.«
    Darauf wusste keiner mehr etwas zu sagen, also schwiegen wir. Wieder überkam mich dieses unangenehme, leicht peinliche Gefühl. Die beiden waren unterm Strich Fremde für mich. Gut, in der Jugendzeit hatte man so etwas häufiger gemacht, Trips mit irgendwelchen Leuten, die man kaum kannte, ein Wochenende in Amsterdam oder wenigstens Köln, zelten in Ungarn oder so. Aber wir waren Erwachsene. Je näher wir dem Ziel kamen, umso bescheuerter fand ich die Idee. Zur Ablenkung versuchte ich, weiter Simon zu erreichen, aber der Teilnehmer … und so weiter.

    Die Marina – seltsamerweise trugen Charterhäfen diesen Frauennamen – lag in einem überschaubaren Wohngebiet aus Einfamilienhäusern am Ufer eines nicht sehr großen Sees. Gedrungene, weiß angestrichene Zweckbauten befanden sich unweit einer großen, sich verzweigenden Steganlage, an der etwa zwanzig unterschiedlich große Schiffe sehr ähnlicher Bauart lagen. Wir hoben uns die Begutachtung für später auf und enterten das Verwaltungsgebäude. Eine dickliche, offenbar ziemlich genervte, aber auf fröhlich machende Enddreißigerin begrüßte uns, beglückwünschte uns zur großartigen Entscheidung, diese wundervolle – und nicht eben billige – Art von Urlaub gewählt zu haben, und bat uns, in einer Sitzgruppe Platz zu nehmen, um erst mal, wie sie es nannte, ein Käffchen zu
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